Die Anweisung vom Management ist klar: “Wir müssen etwas mit KI machen.” Als IT-Führungskraft stehen Sie nun unter Druck, diesen Hype in messbare Ergebnisse zu verwandeln.
Doch die Statistik ist brutal: Die meisten dieser Initiativen scheitern nicht an der Technik, sondern an Denkfehlern am Start. Dieser praxiserprobte Fahrplan ist Ihre Versicherung gegen verbranntes Budget und enttäuschte Erwartungen. Er zeigt, wie Sie Ihr erstes KI-Projekt sicher zum Erfolg führen.
Sie kennen das: Eine neue Technologie erobert die Business-Welt, und plötzlich soll die IT zaubern. Bei Künstlicher Intelligenz ist dieser Druck besonders hoch. Doch ein KI-Projekt ist kein klassischer Software-Rollout. Es ist eine Entdeckungsreise ins Ungewisse. Wenn Sie es mit den alten Karten des Projektmanagements steuern, laufen Sie geradewegs auf Grund. Der Erfolg Ihres ersten KI-Projekts wird nicht durch den Algorithmus entschieden, sondern durch die Qualität Ihrer Vorbereitung. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen – anhand eines konkreten Beispiels aus dem Mittelstand.
Das Szenario: Die “Schreiner Präzisionstechnik GmbH”, ein Maschinenbauer mit 150 MitarbeiterInnen. Der Vertrieb ist exzellent, hat aber ein Problem: Die TechnikerInnen im Außendienst rufen ständig an, weil sie vor Ort beim Kunden technische Detailfragen haben, die in hunderten verstreuten PDF-Handbüchern schlummern. Wertvolle Zeit geht verloren.
Phase 1: Der Kurs – Vom vagen Wunsch zum klaren Ziel
Bevor auch nur eine Zeile Code geschrieben wird, muss das Fundament stehen. Der häufigste Fehler passiert genau hier.
Vom Problem zur Hypothese: Der Vertriebsleiter kommt zu Ihnen und sagt: “Wir brauchen einen Chatbot!”. Ihre Aufgabe als IT-EntscheiderIn ist es, die richtige Gegenfrage zu stellen: “Welches konkrete Problem wollen wir damit lösen?”. Nach einem kurzen Workshop ist der Schmerzpunkt klar: Die Suche nach Informationen kostet jede/n VertriebstechnikerIn im Schnitt 45 Minuten pro Tag.
Die messbare Business-Hypothese: Nach dem Workshop wird aus dem vagen Wunsch ‘Wir brauchen einen Chatbot’ eine messerscharfe Business-Hypothese.
Schlechte Hypothese: “Wir führen einen Chatbot ein.”
Gute Hypothese: “Durch einen KI-Assistenten, der auf unseren Handbüchern trainiert ist, reduzieren wir die Suchzeit der Techniker um 80 %. Das entspricht einer Zeitersparnis von 30 Minuten pro Techniker pro Tag. Bei 50 Technikern gewinnen wir über 1.000 Arbeitsstunden pro Monat zurück, die wir direkt in wertschöpfende Kundenarbeit investieren können.”
Unbezahlbares Lernziel: “Wir als Organisation lernen, wie wir unstrukturiertes Wissen (PDFs) für eine KI nutzbar machen.” Das ist der eigentliche, unbezahlbare ROI für die Zukunft.
Was Sie jetzt tun sollten: Blocken Sie einen zweistündigen Workshop-Termin mit dem Fachbereich und erarbeiten Sie einen einseitigen Projekt-Steckbrief, der genau diese Hypothesen und Ziele festhält. Das ist Ihre Versicherung gegen ein zielloses Projekt.
Phase 2: Der Prototyp – Geschwindigkeit vor Perfektion
Jetzt geht es darum, schnell etwas Greifbares zu schaffen. Perfektion ist der Feind des Fortschritts.
Das Minimum Viable Product (MVP): Die “Schreiner GmbH” entwickelt nicht sofort einen allwissenden Bot. Das MVP, liebevoll “Leo” getauft, wird mit einer einfachen Plattform wie Microsoft Copilot Studio erstellt und kennt anfangs nur die Handbücher der fünf meistverkauften Maschinentypen. Mehr nicht. Das Ziel: in drei Wochen live gehen.
Wöchentliche Feedback-Schleifen: Sie richten einen festen, 30-minütigen wöchentlichen Termin mit drei TechnikerInnen ein. Das Feedback in Woche eins ist brutal ehrlich: “Leo ist super für die neuen Maschinen, aber bei der alten B-500 findet er nichts. Und er versteht unseren Fachjargon für ‘Kühlmitteldruck’ nicht.”. Dieses Feedback ist Gold. In Woche zwei füttern Sie Leo mit den alten Handbüchern und einer Liste von Synonymen.
Was Sie jetzt tun sollten: Planen Sie Ihr Projekt in kurzen Sprints und machen Sie die wöchentliche Feedback-Session mit den echten AnwenderInnen zum unumstößlichen Ritual.
Phase 3: Der Realitäts-Check – Erfolg ganzheitlich messen
Nach acht Wochen endet der Pilot, und es folgt die ehrliche Bewertung.
Quantitative Messung: Die Zahlen sind eindeutig. Die durchschnittliche Suchzeit der drei Test-TechnikerInnen ist von 45 Minuten auf 8 Minuten pro Tag gesunken. Das Ziel wurde übertroffen. Die Anzahl der Anrufe im Innendienst für Standardfragen hat sich halbiert.
Qualitative Messung: Sie führen kurze Interviews. Ein Techniker sagt: “Anfangs war ich skeptisch, aber jetzt ist Leo mein erster Ansprechpartner. Ich wirke beim Kunden souveräner, weil ich die Antwort in Sekunden habe.”. Die Akzeptanz ist da.
Was Sie jetzt tun sollten: Erstellen Sie vor Projektstart eine simple Umfrage mit 3-5 qualitativen Fragen, um die Zufriedenheit der AnwenderInnen vor und nach dem Piloten zu messen.
Phase 4: Die Skalierung – Vom Experiment zum Standard
Ein erfolgreicher Pilot ist der Startschuss, nicht das Ziel.
Technische Industrialisierung: Sie planen jetzt den Rollout von “Leo” für alle 50 TechnikerInnen. Das bedeutet: Sie stellen die technische Infrastruktur sicher und integrieren den Assistenten direkt in die Microsoft Teams Umgebung, die alle bereits nutzen.
Organisatorischer Rollout: Sie skalieren nicht mit einem “Big Bang”. Die drei “Champions” aus dem Pilotprojekt schulen ihre KollegInnen in kleinen Gruppen. Sie sind die glaubwürdigsten Botschafter. Gleichzeitig wird die Nutzung von “Leo” zum offiziellen Standardprozess im Techniker-Handbuch.
Was Sie jetzt tun sollten: Entwickeln Sie den Plan für die Skalierung parallel zum Piloten. Definieren Sie schon während des Piloten die Kriterien und nächsten Schritte für einen unternehmensweiten Rollout.
Fazit
Das Management des ersten KI-Projekts ist eine strategische Gratwanderung. Dieser 4-Phasen-Plan gibt Ihnen die nötige Sicherheit, ein riskantes Experiment in eine zukunftsfähige Investition zu verwandeln. Der entscheidende nächste Schritt nach der Lektüre dieses Artikels ist die konkrete Planung.
Autor: Johannes Thielmann, Berater und Autor des Fachbuchs “Der KI-Kompass für den Mittelstand”