Warum AI im Marketing hart, aber wichtig ist

Die Künstliche Intelligenz (engl. Artificial Intelligence, AI) ist aus dem Marketing nicht mehr wegzudenken. Sie spielt vor allem für größere Unternehmen mit mehreren Tausend oder gar Millionen Kunden eine immer wichtigere Rolle. Sie kommt da ins Spiel, wo auf der Basis von Kundendaten Rückschlüsse auf deren zukünftiges Kaufverhalten gezogen werden sollen.

Die Herausforderung Touchpoint

Nach einer Studie der Markenberatung Esch gibt es im Verlauf der Customer Journey ungefähr 300 Touchpoints, auch Point of Contact genannt. Es handelt sich dabei um die Schnittstellen des Unternehmens oder deren Marken mit möglichen, bestehenden oder ehemaligen Kunden. Sie liegen zum Beispiel in den Bereichen Customer Service, Point-of-Sale, der Ausschüttung von Incentives, im E-Mail-Verkehr oder Social Media. Ziel von Marketing-Maßnahmen ist, den Kunden in Echtzeit über alle Touchpoints hinweg zu begleiten und ggf. zu aktivieren. Die Herausforderung ist jedoch, wie das bei 300 TPs und Millionen von Kunden funktionieren soll.

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Klar ist: es muss eine Menge Zeit, Budget und Aufwand investiert werden. Ein erster Schritt ist der Einsatz von Modellen, anhand derer sich Muster in den historischen Kundendaten erkennen lassen — also Muster im bisherigen Kundenverhalten. Über die Mustererkennung kann ein Scoring stattfinden, wonach Prognosen auf die Zukunft möglich sein sollen, das heißt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit sein wird, dass ein Kunde erneut kaufen wird. Genau hier kommt die AI ins Spiel. Sie soll eben genau diese Aufgabe übernehmen: Kundendaten auswerten, um daraus Handlungsempfehlungen auf Unternehmensseite ableiten zu können – und das in möglichst kurzer Zeit. Die Stichworte für marketingrelevante AI sind hier Business Intelligence, Data-Mining, Advanced Analytics oder Machine Learning.

Die Lösungslandschaft ist bislang höchst fragmentiert

Zur Bewältigung der genannten Herausforderung gab es im Jahr 2017 rund 5.300 verschiedene Lösungen. Einige davon gehören zur AI, jedoch ist allein die Menge der vorhandenen Tools so unübersichtlich, dass sich Unternehmen denkbar schwertun, diese Lösungen als relevante AI zu bewerten, einzukaufen und zu orchestrieren. Die Voraussetzungen jedes Unternehmens sind unterschiedlich. Tools können nicht einfach nach dem „just-buy-it“-Prinzip eingekauft werden und funktionieren nicht ohne Weiteres auf den vorgestellten Nutzen hin. Von AI wird jedoch derzeit so viel erwartet, dass die einzelnen Technologien oder Softwares kurz vor dem „Peak of inflated Expectations“ stehen. Dabei ist AI kein „Magic Fix“, sie lässt sich für gewöhnlich nicht innerhalb kurzer Zeit in Unternehmensabläufe integrieren.

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Die steigende Relevanz von AI

Große Unternehmen wie Zalando oder Otto setzen große Hoffnung in die Bedeutung und den Nutzen von AI, den sie auf den ROI haben kann. Daher wird die „DNA des Handelns“ gerade deutlich umprogrammiert. Zalando will rund 250 Marketing-Stellen in Berlin streichen, um Platz für neue Data-Scientists zu schaffen. Otto plant, 580 der 1380 Stellen, die in den nächsten 12 Monaten besetzt werden sollen, im IT-Bereich zu vergeben. Beide Unternehmen bauen Plattformen, um den Zugang zum Kunden zu zentralisieren. Ein Ziel, das Amazon übrigens längst erreicht hat.

Wer bei diesem Wettbewerb mithalten und relevant bleiben will, muss mitspielen können. Allerdings können sich kleinere Unternehmen nicht unbedingt 1.000 Entwickler leisten, die ihnen eine geeignete AI-Base schaffen. Trotzdem müssen sie einen eigenen Marktzugang behalten, um nicht austauschbar zu werden. Daher ist es ungemein wichtig, die eigenen Kundenbeziehungen optimal zu gestalten und knappe Budgets sinnvoll zu verteilen. Mit Hilfe von AI-Ansätzen können Unternehmen lernen, welche Instrumente bei welchen Kunden welchen ROI erzeugen. Damit ist dann tatsächlich eine auf Grenzerträgen basierte Verteilung des Budgets möglich.

Wie kommen Unternehmen zur richtigen AI-Lösung?

Wie erwähnt, ist es schwierig, aus jener Unzahl von Lösungen, die der Markt bereithält, die „richtige“ auszuwählen, um alle Probleme zu lösen, die sich dem Unternehmen und der entsprechenden Customer Journey stellen.

Das beste Vorgehen ist, eine AI-Roadmap zu erstellen, die genau definiert, was das Ziel ist, welcher der richtige Weg dorthin ist und wie man einmal angekommen auch langfristig am Ball bleibt. Das Mittel zum Zweck ist die Konzeption von Use Cases, also die Entwicklung eines Modells, bei dem die Funktionalität eines geplanten Software-Systems oder Algorithmus überprüft wird. Dabei gilt es einiges zu beachten. Ein solcher Use Case sollte:

  • konkret definiert sein
  • praktisch umsetzbar sein — in einem begrenzten Zeit- und Kostenrahmen
  • das Potenzial haben, einen positiven ROI bei einem (eventuell späteren) Roll-out zu liefern
  • eine klar definierte, messbare Zielstellung haben, sowohl auf der Ebene der einzelnen Interaktion als auch auf der Ebene der Gesamtbetrachtung

AI-Use-Cases im Marketing und Vertrieb werden aus einer Kombination der Kundenzielgruppe im Kundenlebenszyklus, dem Kanal und dem Angebot definiert. Typische Kundenzielgruppen entlang des Kundenlebenszyklus sind Interessenten, Neukunden, First-to-second-order-Kunden, Rising Stars, Bestandskunden, gefährdete Kunden und ehemalige Kunden. Die Angebote oder Incentives werden über typische Marketingkanäle wie z. B. Telefon, mobile App, E-Mail, Chat, Social Media, Print, POS oder Smart-Home-Geräte promotet. Eine Use Case-Annäherung wäre z. B. der Customer Lifetime Value, der die Frage beantwortet, welchen Kundenwert jeder einzelne Kunde zukünftig wahrscheinlich erreichen wird.

Folgendes Gerüst dient der exakten Definition eines Use Cases:

1. Hypothese
2. Experiment
3. Erfolgskriterium (Einzelebene vs. Gesamtebene)
4. Impact (im Test, nach dem Roll-out)
5. Einschätzung der Umsetzbarkeit (Datenlagen, Prozessänderungen, Zeitraum, Budget)

Anhand des Use-Case-Beispiels „Reaktivierung” sieht die Definition wie folgt aus:

1. Hypothese: Was ist die Annahme?

Es wird eine Auswahl derjenigen Kunden für eine Reaktivierung getroffen, die bei einer Ansprache am ehesten wieder zu zahlenden Kunden werden. Es wird also das Scoring-Modell gesucht, welches diese Kunden identifizieren kann.

2. Experiment: Wie wird’s gemacht?

  • Eine Gruppe der Kunden wird nach Score ausgewählt, eine andere wie bisher.
  • Der Vergleich der Gruppen erfolgt entweder anhand von A/B-Tests oder in einem Überdeckungstest.

3. Erfolgskriterium: Wie wird gemessen?

  • Auf der Einzelebene: Ein zuvor nicht aktiver Kunde wird wieder aktiv.
  • Auf der Gesamtebene: Die in der Testgruppe angeschriebenen Kunden haben einen höheren Reaktivierungswert.

4. Impact: Was kann man erwarten?

  • Im ersten Test: Der Einfluss sollte mindestens so gut sein, wie das bisherige Vorgehen bei massiver Prozesserleichterung.
  • Nach Iteration und Rollout: Zwischen 5 und 100 % Lift, je nach vorherigem Vorgehen und der Datenlage.

5. Umsetzbarkeit: Was ist nötig?

  • Um einen hohen Lift zu erreichen, sind mehr Daten, z. B. Verhaltensdaten, nötig. Für ein gleiches oder leicht besseres Ergebnis im Vergleich zum Status Quo reichen einfache Daten, z. B. historische Transaktionsdaten und Kundenstammdaten. Reaktivierungsmodelle profitieren stark von zufällig ausgeführten Kampagnen als Datenquelle.
  • Zeitrahmen: wenige Wochen bis zu den ersten Ergebnissen, ca. 6-9 Monate bis zur komplett selbständigen Nutzung der Software (Self-Service), je nach Kanal
  • Prozessveränderung: Minimal, da nur das Ranking anders ist. 

Philippe TakkePhilippe Takke, https://blog.gpredictive.de/

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