Niemand bekommt eine Atempause in diesen unruhigen Zeiten. Es liegt eine bittere Ironie in der Geschwindigkeit, mit der Unternehmen eine globale Krise nach der anderen bewältigen müssen. Es gibt keine Schonfrist für die Zeit nach Covid. Durch die Ereignisse in der Ukraine macht sich erneut Unsicherheit in der globalen Geschäftswelt breit.
Die Lieferketten sind seit dem Ausbruch der Pandemie in einem fragilen Zustand. Der Krieg in der Ukraine fügt dem schwierigen Umfeld, in dem der globale Handel agieren muss, eine weitere Dimension hinzu. Einem aktuellen Bericht zufolge haben bereits mehr als 300.000 Unternehmen seit Ausbruch des Krieges erhebliche Auswirkungen auf ihre Lieferkette festgestellt. Diese Zahl wird weiter steigen, wenn der Konflikt weitergeht und Sanktionsmaßnahmen in Kraft treten.
Da die Inflation bereits den höchsten Stand seit 30 Jahren erreicht hat, sehen sich Unternehmen in praktisch allen Branchen mit steigenden Kosten konfrontiert. Anpassungsmaßnahmen, zu denen auch die Aufrechterhaltung höherer Lagerbestände zur Bewältigung schwankender Nachfragezyklen gehört, werden den Druck auf den Cashflow noch verstärken.
In einer perfekten Welt würden Einkäufer und Lieferanten zusammenarbeiten, um ihre Probleme gemeinsam zu lösen. Eine Reihe von Faktoren hindert sie daran. Da ist der Urinstinkt der Selbsterhaltung. Dieser wird durch die Tatsache verstärkt, dass in der Wirtschaft – wie in vielen Bereichen des Lebens – Geld an erster Stelle steht. Wenn nun Volatilität auftritt, reagieren viele große Einkäufer damit ihr Geld so lange wie möglich zu behalten.
Unternehmen versuchen sich den Cashflow zu beschaffen, den sie benötigen, um eine weitere schwierige Phase zu überstehen. Dafür sollen Finanzteams sind alle Hebel in Bewegung zu setzen. Das schließt die Verzögerung von Zahlungen an Lieferanten mit ein. In den allermeisten Fällen werden sie dazu gezwungen, ohne dass sie genau wissen, wie solche Maßnahmen den Lieferanten schaden.
Fehlende Verbindungen
Einkäufer und Lieferanten wickeln ihre Geschäftsbeziehung weitgehend durch den Austausch von Dokumenten auf Papier ab. Kreditorenbuchhaltungsteams verbringen den Großteil ihrer Zeit mit geringwertigen Aufgaben und fast keine Zeit damit, die finanzielle Gesundheit der Lieferketten zu verstehen. Der Mangel an gemeinsam nutzbaren Echtzeitdaten zwingt Finanz- und Beschaffungsabteilungen dazu in Silo-Strukturen zu arbeiten. Prüfen CFOs Optionen zur Steigerung des Cashflows, sind sie oft gezwungen, Entscheidungen auf der Grundlage fragmentierter Informationen zu treffen.
Die digitale Trennung zwischen Einkäufern und Lieferanten bedeutet auch, dass, wenn ein Einkäufer beschließt, Zahlungen zu verzögern oder zu verlängern, die Möglichkeiten zur Abmilderung der Auswirkungen auf die Lieferanten stark eingeschränkt sind. Durch den Mangel an Daten kommen herkömmliche Finanzierungsmöglichkeiten für die Lieferkette nur für einen winzigen Prozentsatz der Lieferanten in Frage. Berücksichtigt werden dann nur die, die über eine Kredithistorie und entsprechende Unterlagen verfügen. Erwähnenswert ist auch, dass die Regulierungsbehörden dazu tendieren, diese Art der Finanzierung als Schulden gegenüber dem Einkäufer zu behandeln. Dies könnte große Unternehmen dazu veranlassen, sich die Einführung dieses Modells in Zukunft zweimal zu überlegen.
Die Liquiditätslücke schließen
Mittels Digitalisierung der Einkäufer-Lieferanten-Verbindungen wird Lieferantenfinanzierung einfach und leicht zugänglich für den Großteil der Lieferanten. Viele Einschränkungen herkömmlicher Formen der Lieferantenfinanzierung lassen sich damit überwinden. Wenn Einkäufer und Lieferanten digital miteinander verbunden sind, haben sie Zugriff auf umfangreiche Datenmengen und können Auswertungen in Echtzeit erstellen. Die Digitalisierung fördert die Transparenz der Lieferkettenabläufe, was auch für das deutsche Lieferkettengesetz, das 2023 in Kraft tritt von großer Bedeutung ist. Und sie vereinfacht es die Risiken zu analysieren, die mit der Finanzierung von Transaktionen über die gesamte Lieferkette verbundenen sind.
Mit einer klareren Risikobetrachtung und -bewertung können Finanzdienstleister alle Transaktionen in der Lieferkette einsehen und die Lieferanten mit Liquidität versorgen. Sie können dies ohne Schuldscheine, überschüssige Liquidität des Einkäufers und anderen Schwierigkeiten tun, die mit den üblichen Finanzierungsprogrammen zur vorzeitigen Zahlung von Forderungen durch den Einkäufer verbunden sind.
Der Netzwerkeffekt
Bis vor kurzem war die Idee, 100 Prozent der Lieferanten digital zu erreichen, für die meisten großen Unternehmen ein Wunschtraum. Die Mehrheit der Unternehmenssoftware ist dieser Aufgabe nicht gewachsen. Da sie auf einem „Hub and Spoke“-Modell basierte, ist jede einzelne Verbindung ein Projekt für sich, das Wochen oder sogar Monate mühsamer Integration erfordert. Viele Onboarding-Initiativen für Lieferanten erreichen eine Akzeptanzrate von gerade einmal 20 Prozent.
Für die Finanzteams gehen die Vorteile dieses Netzwerkansatzes weit über die Bereitstellung von Finanzierungsoptionen für die gesamte Lieferkette hinaus. Durch die Digitalisierung des Lieferketten-Ökosystems erhalten Unternehmen eine ganzheitlichere Sicht auf die Handelsbeziehungen, die die komplexe und vernetzte Natur moderner Lieferketten widerspiegeln. Diese Transparenz ermöglicht es Entscheidungsträgern, einzelne Schwachstellen zu erkennen und rasch fundierte Entscheidungen zu treffen und zu handeln.
Automatisierung, die sich auszahlt
Sind die Lieferkettenbestell- und Rechnungsabläufe digitalisiert, übernimmt die Automatisierung den Löwenanteil der geringwertigen und mühsamen Verarbeitungsaufgaben. Teams haben dann mehr Zeit sich vermehrt um die Lieferantenbeziehung auf menschlicher Ebene zu kümmern. Das wurde lange Zeit übersehen, da die Menge der zu verwaltenden Geschäftsbeziehungen immer größer wurde, ist aber ein entscheidender Faktor für stabile Einkäufer-Lieferanten-Verbindungen. Der wahre Wert der Technologie liegt in ihrer Anwendung und den Möglichkeiten, die sie Unternehmen bietet. Wie Unternehmen deren Vorteile nutzen, wird entscheidend sein, wenn es darum geht, in unsicheren Zeiten starke Geschäftsbeziehungen zu pflegen.