Flache Hierarchien & erfolgreiche Teams

KI als Gamechanger

Dr. Manas Human
Dr. Manas Human

Der IT-Dienstleister Nagarro hat sich von seinen Anfängen zu einem global agierenden Unternehmen mit Standorten in fast 40 Ländern entwickelt. Im Interview spricht CEO Dr. Manas Human über Agentic AI, kulturübergreifende Zusammenarbeit und die Zukunft der IT-Weiterbildung.

Herr Dr. Human, Sie haben Nagarro von einem indischen IT-Dienstleister zu einem europäisch positionierten Unternehmen transformiert, ohne die Entwicklungszentren in Indien aufzugeben. Wie haben Sie es geschafft, diese Brücke zwischen den sehr unterschiedlichen Geschäftskulturen zu bauen?

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Dr. Manas Human: Es ist eigentlich ein Missverständnis, dass Nagarro von Anfang an ein indisches IT-Unternehmen war. Als ich meinen Teil von Nagarro gründete, lebte ich gerade in Boston, und die erste Software, die ich entwickelte, war für ein Pharmaunternehmen in Belgien. Im Laufe der Zeit wuchsen wir vor allem in Indien, weil es dort einfach unglaublich viele talentierte IT-Fachkräfte gab. Aber von Anfang an hat uns die Idee angetrieben, dass Menschen in diesem neuen Technologiefeld mithilfe des Internets über Ländergrenzen hinweg zusammenarbeiten können.

Diese Begeisterung treibt uns bis heute an. Unsere Mission lautet: „To make distance and difference irrelevant between intelligent people“. In einer Welt, in der Videokonferenzen fast nichts mehr kosten, können wir tatsächlich wie ein einziges Team arbeiten, egal, wo wir uns gerade befinden.

Uns als Unternehmen ist wichtig, dass wir uns auf das konzentrieren, was uns verbindet und was wir gemeinsam haben. Wir reden miteinander über Technologie, Fotografie, Reisen, Essen oder Familie, denn das sind Themen, die uns alle interessieren. So haben wir es geschafft, eine gemeinsame Unternehmenskultur aufzubauen, die sich über fast 40 Länder hinweg erstreckt.

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Bei Nagarro setzen Sie auf Agentic AI und GenAI. Das sind sehr umkämpfte Bereiche – welche konkreten Projekte realisieren Sie damit und wie positionieren Sie sich gegen die große Konkurrenz?

Dr. Manas Human: Nagarro ist bekannt für die Arbeit mit modernster Technologie, Schnelligkeit und dafür, auch kleinere, intensive Projekte erfolgreich umzusetzen. Genau diese drei Punkte sind besonders wichtig, wenn es um Agentic AI und Gen AI geht. Viele Projekte in diesem Bereich starten aktuell mit Use Cases, die sich relativ einfach implementieren lassen oder für unsere Kunden weniger Risiken mit sich bringen. Hier können wir unsere agile Arbeitsweise mit kleinen, schlanken Teams voll ausspielen und diese Use Cases effizient umsetzen. Gleichzeitig nutzen wir unsere Engineering-Stärken, um sicherzustellen, dass die Lösungen so aufgebaut sind, dass darauf aufbauende Use Cases später mit deutlich geringeren Zusatzkosten implementiert werden können.

Nagarro investiert schon seit vielen Jahren in KI – lange bevor ChatGPT veröffentlicht wurde – und mittlerweile umfasst unsere entsprechende Business Unit fast tausend Mitarbeitende. KI und Generative KI bieten für uns eine großartige Möglichkeit, uns in der Wertschöpfungskette weiter nach oben zu bewegen: Wir liefern nicht nur hervorragende technische Ergebnisse, sondern schaffen auch echten Mehrwert für das Business.

Im Bereich Generative KI haben wir drei klare Schwerpunkte etabliert: Prompt Engineering, Retrieval-Augmented Generation (RAG) sowie die Entwicklung von SLMs und LLMs durch speziell abgestimmte und optimierte Modelle für konkrete Use Cases. Außerdem arbeiten wir daran, AI Agents und Co-Piloten für den Einsatz in Unternehmen zu entwickeln, multimodale und verkörperte KI voranzutreiben und strukturierte, kontextbewusste LLM-Anwendungen zu realisieren. In Verbindung mit unserem tiefen Branchenwissen, etwa im Banking, in der Luftfahrt, im Bereich Automotive oder im Einzelhandel, können wir maßgeschneiderte Lösungen liefern, die echten und messbaren Mehrwert schaffen.

Wir arbeiten mit einigen der weltweit führenden Unternehmen zusammen und entwickeln neben der Arbeit für unsere Kunden mehrere interne KI-Accelerators, die wir in verschiedenen Projekten einsetzen. Ein Beispiel dafür ist Ginger, unser interner digitaler Assistent, der alle Mitarbeitenden mit dem Unternehmen vernetzt.

Über die letzten sechs bis sieben Jahre hinweg weiterentwickelt, ist Ginger heute KI-gestützt und ermöglicht alles vom Abrufen von Informationen bis hin zum Versenden personalisierter Benachrichtigungen. Er erinnert vielleicht an den Geburtstag eines Kollegen oder weist auf ein Qualitätsproblem in einem früheren Release hin. In zukunftsorientierten Unternehmen helfen Tools wie Ginger dabei, Kultur, Kommunikation und Arbeitsabläufe lebendig zu halten. Asfinag, Betreiber des österreichischen Autobahnund Schnellstraßennetzes, hat Ginger beispielsweise unter eigenem Branding eingeführt.

Der Fachkräftemangel zwingt auch zu neuen Arbeitsformen. Funktionieren flache Hierarchien und selbstorganisierte Teams wirklich bei knappen Ressourcen, oder braucht man dann doch mehr Struktur?

Dr. Manas Human: Nein, das glaube ich nicht. Zumindest glaube ich das nicht. Ich bin überzeugt, dass uns KI hier zu Hilfe kommen wird. Je einfacher es wird, Software zu entwickeln, desto stärker werden sich flache Hierarchien und selbstorganisierte Teams durchsetzen.

Wenn Arbeit viele einfache, wiederkehrende Tätigkeiten umfasst, ermöglicht Hierarchie erfahrenen Fachkräften, große Gruppen weniger erfahrener Mitarbeitender zu steuern und so Ergebnisse zu erzielen. Mit KI jedoch kann ein Großteil dieser Aufgaben von der Technologie übernommen werden. Hierarchien werden dadurch nicht nur weniger nützlich, sie können sogar hinderlich sein. Wir bei Nagarro sind überzeugt, dass die Art von nicht-hierarchischer Struktur, die wir leben, die Zukunft der IT-Branche ist.

Ich habe dafür einen passenden Vergleich: Stellen Sie sich vor, wie die ägyptischen Pyramiden gebaut wurden – Tausende von Arbeitern, organisiert in einer typischen Hierarchie. Wenn man die Pyramiden heute bauen würde, käme vermutlich ein kleines, selbstorganisiertes Team mit hochmodernen Werkzeugen für das Schneiden und Bewegen von Steinen zum Einsatz. Genau so sehen wir die Entwicklung mit KI.

Nagarro hat eine eigene `University` aufgebaut. Sind solche internen Bildungseinrichtungen die Zukunft der IT-Weiterbildung?

Dr. Manas Human: Ich bin davon überzeugt, dass Weiterbildungsprogramme in Unternehmen die klassischen Universitäten mehr und mehr ergänzen und nicht ersetzen werden. Tatsächlich hat Nagarro dabei geholfen, die Plaksha University in Indien mitzugründen – eine gemeinnützige Universität, die mit ihrem vierjährigen Bachelor-Programm den Schwerpunkt auf praxisorientiertes Lernen und Problemlösung legt. Parallel dazu sorgt unsere interne Bildungsplattform NagarroU dafür, dass wir alle auch im Berufsalltag kontinuierlich lernen, denn Bildung ist natürlich etwas, das uns ein Leben lang begleitet.

Je einfacher es wird, Software zu entwickeln, desto stärker werden sich flache Hierarchien und selbstorganisierte Teams durchsetzen.

Dr. Manas Human, Nagarro

Das Lernen kann sich dabei sowohl auf Soft Skills als auch auf spezialisierte Technologiegebiete beziehen. Ich selbst habe zum Beispiel über NagarroU einen Kurs zur Stimmmodulation belegt, der mir enorm geholfen hat. Andere wiederum haben vielleicht einen Kurs zur Leitung großer Projekte oder zu einem bestimmten Aspekt von KI besucht. NagarroU fördert dabei eine lebendige Peer-to-Peer-Lernkultur. Foren, Diskussionsplattformen und Kollaborationsräume sind dynamische Begegnungsräume, in denen Wissen geteilt, Lösungen ausgetauscht und gegenseitige Unterstützung gelebt wird.

Herr Dr. Human, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Dr. Manas

Human

CEO

Nagarro

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