«Ich bin drin» – Immer mehr Videoverhandlungen an Gerichten

Gerichtsverhandlung digital

Die Technik steht. Auf dem großen Bildschirm sind Einstellungen vom Gerichtssaal in alle vier Richtungen zu sehen. Dann erscheint eine neue Video-Kachel: Ein Anwalt schaltet sich dazu. «Guten Morgen! Die Sitzung ist eröffnet», sagt die stellvertretende Vorsitzende der ersten Zivilkammer am Landgericht Trier, Olga Zimmer. In der Berufungssache um Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall wird später noch ein Sachverständiger online erscheinen, während die insgesamt drei Richter, der Anwalt der gegnerischen Seite und einige Zuschauer im Sitzungssaal 130 sitzen.

Die Videoverhandlung läuft glatt, nur bei Kleinigkeiten ruckelt es mal. «Ich verstehe Sie ein bisschen leise», sagt Zimmer einmal zum Anwalt, der sich vom Mikrofon abgewandt hat. Und der Sachverständige taucht mit Verspätung auf dem Bildschirm auf: «Ich hatte einen falschen Zugangslink zugeschickt bekommen», sagt er. «Aber jetzt bin ich drin!» Der Fall wird verhandelt, als ob alle im Raum wären – mal spricht der Anwalt im Saal, mal sein zugeschalteter Kollege, mal die Richterinnen und Richter. Nach einer guten Stunde heißt es dann «Meeting beenden», der Entscheidungstermin wird verkündet.

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Videotechnik hält seit ein paar Jahren zunehmend Einzug in Gerichtssälen in Rheinland-Pfalz. Deren Bedeutung wachse stetig, sagt der Sprecher des Justizministers Herbert Mertin (FDP), Philipp Sturhan, der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. Alle 77 Gerichte im Land hätten Zugriff auf Videokonferenztechnik. Neben vielen mobilen Systemen sei in der Corona-Pandemie von 2020 bis 2022 in allen Gerichten mindestens ein Gerichtssaal mit der Hardware für Videoverhandlungen ausgerüstet worden.

Corona habe die Entwicklung «zweifellos beschleunigt», sagt Sturhan. Die Zahl von Videoverhandlungen, bei denen mindestens ein Prozessbeteiligter zugeschaltet war, habe in Rheinland-Pfalz von 101 Verfahren im Jahr 2019 über 691 Verfahren in 2020 auf rund 1900 in 2021 zugenommen. Neuere Zahlen gebe es nicht. Es sei aber erkennbar, «dass der Einsatz der Videotechnik weiter zugenommen hat und bei den Richterinnen und Richtern vielfach hoch akzeptiert ist», sagt er.

Was sind die Vorteile einer Videoverhandlung? Sie liegen vor allem in einer Zeit- und Kostenersparnis, wie Zivilrichterin Stella Neuerburg nach der Verhandlung in Trier sagt. Prozessbeteiligte müssten nicht anreisen, sparten Hotel- und Reisekosten. Im vorliegenden Fall wäre das bei der Anreise des Sachverständigen teuer geworden: Er hätte aus Leegebruch in Brandenburg kommen müssen. «Man findet auch schneller einen Termin, wenn man so weit nicht anreisen muss», sagt Zimmer.

«Gerade bei sogenannten Masseverfahren wie zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Abgasskandal biete sich Videoverfahren besonders an», sagt einer der Richter. «Weil die Termine eigentlich nur daraus bestehen, dass die Anwälte ihre Anträge stellen und die Sitzung nach wenigen Minuten endet.» Da mache es keinen Sinn, dass ein Anwalt von Berlin, Hamburg oder München anreise. «Es freut mich außerdem jedes Mal, wenn man daran denkt, wieviel CO2 dabei eingespart wird.»

Grenzen der Videotechnik gebe es aber bei Zeugenaussagen, sagt Richterin Neuerburg. Es könne sein, dass sich die Richter einen persönlichen Eindruck von Zeugen machen wollten. «Mimik und Gestik können für die Beurteilung der Aussage und der Angaben relevant sein», sagte sie. Daher müsse man im Einzelfall schauen, welche Verhandlung für Video geeignet ist und welche nicht.

«Auch schwierige oder sensiblen Themen lassen sich besser mit allen Beteiligten im Saal erörtern», sagt Zimmer. Dies sei auch der Grund dafür, dass Videoverhandlungen in Familien- und Betreuungssachen kaum eingesetzt werden. Videoverfahren sind unter anderem im Zivilrecht möglich. In Strafsachen fehle bisher eine gesetzliche Regelung für Online-Verhandlungen. Allenfalls für Zeugen bestehe unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit, per Video zugeschaltet zu werden.

Am Landgericht Trier haben sich Videoverhandlungen in den letzten Jahren immer mehr etabliert, wie Zimmer sagt. «Wir haben mittlerweile täglich mindestens eine Videoverhandlung. Vor drei, vier Jahren war die technische Einrichtung noch gar nicht so da.» Es gebe sieben mobile Wagen mit Videokonferenztechnik, die bei Bedarf in die Säle geschoben werden.

Auch am Trierer Verwaltungsgericht steigt die Nachfrage nach dem Einsatz von Videokonferenztechnik, wie Präsident Heribert Kröger sagt. Es könne Sinn machen, wenn Beteiligte oder Prozessvertreter eine weite Anreise hätten. Man müsse sich aber als Gericht immer überlegen, ob man die persönliche Anwesenheit – etwa bei Asylklagen – benötige, um die Glaubwürdigkeit eines Klägers beurteilen zu können. Das Gericht ist landesweit für Asylklagen zuständig.

Nach Angaben des Justizministeriums belaufen sich die Kosten für die Anschaffung von Videokonferenztechnik seit dem Jahr 2010 auf insgesamt rund 600 000 Euro. Jährliche Wartungs- und Lizenzkosten betragen demnach 180 000 Euro. Neben Webcams, Lautsprechern und großformatigen Displays gehöre als Videokonferenzplattform ein datenschutzkonformer Cloud-basierter Dienst dazu.

Es sei bisher noch nicht passiert, dass eine ihrer Verhandlungen an der Technik gescheitert sei, sagt Richterin Neuerburg. «So fünf bis 15 Minuten Verzögerung, weil anfangs etwas nicht funktioniert, das kommt sehr häufig vor. Aber die hat man auch, wenn die Leute auf der Autobahn im Stau stehen.»

dpa

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