Drei Viertel der Unternehmen in Deutschland erfassen mittlerweile die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten – doch viele wünschen sich mehr Freiraum statt starrer Regeln. Eine breite Mehrheit plädiert für eine wöchentliche statt tägliche Höchstarbeitszeit – auch als Reaktion auf die Herausforderungen moderner Arbeitsmodelle.
Seit dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts im September 2022 hat sich die Arbeitszeiterfassung in deutschen Unternehmen stark verbreitet: Rund 74 Prozent der Firmen mit mindestens 20 Mitarbeitenden dokumentieren inzwischen die Arbeitszeit – vor dem Urteil waren es gerade einmal 30 Prozent. Besonders im Fokus steht dabei die Digitalisierung: 31 Prozent nutzen elektronische Systeme am PC, 18 Prozent Apps auf dem Smartphone. Stationäre Systeme wie Transponder oder Chips kommen in 24 Prozent der Fälle zum Einsatz. Überraschend: Noch immer greifen 16 Prozent zu Excel-Tabellen, 13 Prozent sogar zu handschriftlichen Stundenzetteln.
Vertrauen statt Kontrolle
Trotz der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben stößt die Zeiterfassung in vielen Unternehmen auf Skepsis. Zwei Drittel (65 Prozent) sehen die Flexibilität der Vertrauensarbeitszeit gefährdet, mehr als die Hälfte (55 Prozent) zweifelt an der Umsetzbarkeit minutengenauer Erfassung – besonders in der Wissensarbeit. Zudem fühlen sich 41 Prozent der Mitarbeitenden durch die Zeiterfassung kontrolliert.
Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst mahnt daher eine Modernisierung des Arbeitszeitrechts an: „Wir dürfen die Arbeitswelt nicht nach Maßstäben des Industriezeitalters organisieren. Wissensarbeit lebt von Eigenverantwortung und fließenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit.“
Wöchentliche Höchstarbeitszeit gefordert
Die Rufe nach mehr Flexibilität werden lauter: 82 Prozent der Unternehmen sprechen sich für eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit aus. Fast die Hälfte (49 Prozent) fordert zudem, die gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeit von elf Stunden praxisnäher zu gestalten. Kurzes Arbeiten nach Feierabend – etwa das Checken von Mails – solle nicht automatisch als Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz gelten.
Wintergerst bringt es auf den Punkt: „Wir müssen unser Arbeitszeitrecht an die Lebensrealität der Menschen anpassen. Nur so schaffen wir eine moderne, digitale Arbeitskultur, die beiden Seiten gerecht wird – Unternehmen wie Beschäftigten.“
Ausblick: Pflicht bleibt, Anpassungen möglich
21 Prozent der Unternehmen planen noch im laufenden Jahr, ein Zeiterfassungssystem einzuführen – der Trend zur Erfassung setzt sich also fort. Gleichzeitig wird der politische Druck wachsen, gesetzliche Rahmenbedingungen an die neue Arbeitsrealität anzupassen. Die Diskussion um ein modernes, unbürokratisches Arbeitszeitmodell dürfte also weiter Fahrt aufnehmen.
Hinweis zur Methodik:
Grundlage der Angaben ist eine Umfrage, die Bitkom Research im Auftrag des Digitalverband Bitkom durchgeführt hat. Dabei wurden 602 Unternehmen ab 20 Beschäftigten in Deutschland telefonisch befragt. Die Befragung fand im Zeitraum von KW 10 bis KW 16 2025 statt. Die Umfrage ist repräsentativ. Die Fragen lauteten: „Erfassen Sie in Ihrem Unternehmen diesen Vorgaben entsprechend die Arbeitszeit Ihrer Mitarbeitenden?“, „Wie erfassen Sie in Ihrem Unternehmen die Arbeitszeiten Ihrer Mitarbeitenden?“, und „Inwieweit treffen die folgenden Aussagen zum Thema Arbeitszeiten Ihrer Meinung nach zu bzw. nicht zu?“
(vp/Bitkom)