Industrieanlagen sind längst keine autarken Maschineninseln mehr. Sensoren, Fernwartung, automatisierte Lieferketten – in vielen Fabriken sprechen IT und Operational Technology (OT) längst dieselbe Sprache.
Diese digitale Verflechtung macht deutsche Unternehmen zwar flexibler und effizienter, jedoch auch angreifbarer als je zuvor. Dies gilt besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), wie eine Studie der HDI zeigt. Ein maßgeschneiderter KI-basierter Versicherungsschutz für digitale Unternehmensrisiken wird daher zunehmend zur kritischen Sicherheitskomponente.
IT als Einfallstor für Angriffe auf die Produktion
Welches Ausmaß ein erfolgreicher Cyberangriff auf ein Unternehmen haben kann, zeigt die Praxis immer wieder. Häufiges Einfallstor sind IT-Systeme, wie das Beispiel auf den Landtechnikspezialisten Lemken im vergangenen Jahr verdeutlicht. Weltweit waren alle Standorte betroffen, alle IT-Systeme wurden abgestellt und der Produktionsbetrieb gestoppt. Dies hat einen einfachen Grund: Sind die Netzwerksegmente von IT und OT nicht strikt getrennt, können sich Cyberkriminelle innerhalb des Firmennetzwerks bewegen und auf die Produktion zugreifen. Haben sie Zugang zu den OT-Systemen, können Prozesse manipuliert, Maschinen stillgelegt oder sogar ganze Lieferketten und Werke lahmgelegt werden.
Wie weitreichend das Ausmaß sein kann, belegt der weitreichende Hackerangriff auf die Schumag AG. Nach der Attacke im Jahr 2024 musste der Hersteller von Präzisionsteilen Insolvenz anmelden, denn die unerwarteten Produktionsausfällen, Verzögerungen von Einnahmen sowie Kostenbelastungen mündeten in einer Liquiditätslücke.
Diese genannten Fälle aus dem Mittelstand sind leider keine Einzelbeispiele. Tatsächlich fehlt gerade diesen Industrieunternehmen eine durchdachte Sicherheitsarchitektur für den digitalen Produktionsverbund. Während IT-Netzwerke häufig standardisiert abgesichert werden, bleiben OT-Systeme – oft über Jahrzehnte gewachsen – unzureichend segmentiert, kaum gepatcht oder sogar ohne Verschlüsselung zugänglich. Genau hier setzen moderne Angriffsmethoden an. Advanced Persistent Threats (APT), die über Wochen im Verborgenen operieren, und KI-generierte Phishing-Kampagnen, die Mitarbeiter gezielt täuschen, sind nur einige Beispiele.
Zudem sind klassische Schutzmechanismen häufig nicht auf industrielle Umgebungen übertragbar. Antivirenscanner und Firewalls reichen bei einer vernetzten CNC-Fräse oder einer speicherprogrammierbaren Steuerung (SPS) nicht aus. Besonders kritisch: Fernzugriffe, etwa durch Wartungsfirmen oder Softwarelieferanten, sind oft unzureichend gesichert und stellen Einfallstore für Angreifer dar.
NIS2 als zusätzlicher Risikofaktor
Mit der Umsetzung der EU-weiten NIS2-Richtlinie wird die Absicherung von IT- und OT-Systemen auch rechtlich relevant. Viele produzierende KMU in Deutschland fallen nun unter die verschärften Anforderungen – ob sie wollen oder nicht. Sie müssen Sicherheitsmaßnahmen dokumentieren, Vorfälle innerhalb von 24 Stunden melden und regelmäßige Audits über sich ergehen lassen. Bei Verstößen drohen nicht nur Reputationsverluste, sondern empfindliche Bußgelder. Das Problem: Sicherheitsstandards sind selten einfach und direkt anwendbar. Sie müssen individuell an die jeweilige Produktionsumgebung angepasst werden – und das erfordert Zeit, Know-how und Ressourcen. Genau hier können spezialisierte Versicherungsanbieter für digitale Unternehmensrisiken eine zentrale Rolle einnehmen.
Hybride Produktionswelten brauchen ganzheitlichen KI-basierten Versicherungsschutz
Fest steht: Angesichts einer dynamischen Bedrohungslandschaft muss eine moderne Versicherung heute mehr leisten als reine Schadensregulierung nach einem Cyberangriff. Sie sollte proaktiv unterstützen – mit Risikobewertungen, Audits, Awareness-Trainings und Anomalieerkennung. Im Idealfall wird die Versicherung zum Sicherheitsarchitekten und Sparringspartner der IT- und OT-Verantwortlichen. Aus diesem Grund sollten Unternehmen darauf achten, dass ihre Versicherungspolice etwa folgende Leistungen bietet:
- Regelmäßige KI-gestütze Risikoanalyse, etwa durch wöchentliche Scans aus der Außenperspektive, um Schwachstellen frühzeitig schließen zu können
- Unterstützung beim Aufbau von individuellen Incident-Response-Plänen, spezifisch für OT-Notfälle. Kommt es zu einer Sicherheitsverletzung, wissen alle Mitarbeitenden, wie sie sich verhalten müssen und welche zentralen Kommunikationsschritte sie befolgen sollen.
- Deckung von Produktionsausfällen und Betriebsunterbrechungen – auch wenn die Schadensursache in der Steuerungstechnik liegt
- Forensik und Krisenkommunikation durch spezialisierte Partner
- Kombinationsschutz mit Vertrauensschadenversicherung gegen Deepfakes und Social Engineering, denn sie schützt vor Vermögensschäden durch Betrugsmethoden, die klassische IT-Sicherheitsmaßnahmen umgehen
Spezifische Versicherungskonzepte berücksichtigen dabei die individuelle Risikolandschaft des Unternehmens. Das kann bei einem Maschinenbauer mit 24/7-Fertigung ganz anders aussehen als bei einem Zulieferbetrieb mit manuell unterstützter Produktion.
IT-, Software-, Technologie- und Telekommunikationsunternehmen stehen zudem vor einer weiteren Herausforderung: Neben zuverlässigen und sicheren Produkten/Dienstleistungen müssen sie sich auch bei Verlusten schützen. Immerhin kann ein Fehler in der Software, eine falsche Cloud-Migration oder ein Verstoß gegen die Datenschutzbestimmungen zu hohen Schadenersatzforderungen führen. In diesen Fällen greift eine IT-Haftpflichtpolice, die vor Vermögens- und Eigenschäden absichert.
Cybersicherheit muss Unternehmensalltag sein
Darüber hinaus muss das Thema Sicherheit in der Organisation gelebt werden. Ähnlich einer regelmäßigen Brandschutzübung müssen Mitarbeitende daher beispielsweise in den verschiedenen Cyberangriffsformen geschult werden, sodass sie potenzielle Bedrohungen erkennen und entsprechend darauf reagieren können. Ziel muss eine Sicherheitskultur sein, die alle im Unternehmen einbezieht – vom Maschinenbediener bis zur Geschäftsführung. Dies schließt auch klare Verantwortlichkeiten für IT- und OT-Sicherheit ein, inklusive Managementebene. Denn nur wenn die Einzelteile ineinander greifen, entsteht eine resiliente Sicherheitsstruktur, die Angriffen standhält und Schäden minimiert. Aus diesem Grund sollten Unternehmen folgende weiteren Maßnahmen veranken:
- Robuste Back-up-Strategie: Regelmäßige Sicherheitskopien sind zentraler Bestandteil einer guten IT-Sicherheitsstrategie. Sie sollten an einem sicheren, externen Ort verwahrt und regelmäßig getestet werden, damit sich wichtige Unternehmensinformationen nach einem Angriff schnell wiederherstellen lassen.
- Zugangsbeschränkung und starke Authentifizierung: Remote-Zugänge, über die Dienstleister, Techniker oder externe Partner regelmäßig auf Produktionssysteme zugreifen, um diese zu warten oder die Software zu aktualisieren, brauchen eine starke Zwei-Faktor-Authentifizierung. Denn ohne eine solche entsteht ein hohes Risiko für Hacks. Systeme oder Daten sollten nicht für alle Mitarbeitenden zugänglich sein. Nur Teammitglieder, die diese für ihre Arbeit benötigen, sollten Zugriff haben.
- Klar definiertes Passwortmanagement: Passwörter sollten nicht nur regelmäßig aktualisiert werden, sondern auch strengen Richtlinien folgen. Sie sollten z. B. aus 8-12 Zeichen bestehen und Großbuchstaben, Kleinbuchstaben, Ziffern, Sonderzeichen enthalten. Hierfür sollten Betriebe klare Leitlinien definieren oder ihren Mitarbeitenden eine Vorlage an die Hand geben.
Sicherheit muss ganzheitlich gedacht werden
Die industrielle Produktion von heute ist digital und vernetzt, sodass sie potenziell angreifbar ist. Wer sich ausschließlich auf technische Schutzsysteme verlässt, unterschätzt wie vielschichtig moderne Cyberbedrohungen sind. Dabei zeigt die Realität, dass besonders in hybriden IT-/OT-Umgebungen bereits kleine Lücken verheerende Auswirkungen haben können. Unternehmen brauchen daher nicht nur Sicherheitslösungen, sondern ein integriertes Risikomanagement.
Neben einer präventiven IT-/OT-Sicherheitsstrategie, einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der Sicherheitsarchitektur sind auch KI-basierte Versicherungen wie Cyber-, Vertrauensschaden- und IT-Haftpflichtpolicen zentral. Denn sie leisten weit mehr als Schadensersatz nach einem Vorfall. Sie begleiten Unternehmen proaktiv bei der Risikominimierung, etwa durch KI-gestützte Monitoring-Lösungen. Gerade für KMU ist es daher essenziell, Versicherungslösungen nicht als reine Absicherung, sondern als integralen Bestandteil der Sicherheitsstrategie zu verstehen.