Warum die Regulierungsdiskussion den Blick auf die Möglichkeiten verstellt

Mehr Mut zu KI

Die EU reguliert Künstliche Intelligenz, um Missbrauch der Technologie vorzubeugen. Das ist Wasser auf die Mühlen aller KI-Skeptiker. Dabei sollte sich die Diskussion in Deutschland auf die Chancen konzentrieren, wenn wir Gestalter und nicht Nachzügler sein wollen.

Sobald etwas Neues im Technologie-Umfeld erscheint, ist die Reaktion in der Welt äußerst unterschiedlich. Während in den USA oder Israel erst einmal wild mit neuen Möglichkeiten gespielt wird, wird in der EU und insbesondere in Deutschland mit skeptischem Blick auf die möglichen Gefahren geschaut. So nun auch bei der Künstlichen Intelligenz. Die EU Kommission hat einen Entwurf vorgelegt, um zu verhindern, dass die Technologie für moralisch fragwürdige Anwendungen verwendet wird. Sie will auf diese Weise beispielsweise Social Scoring Systeme verhindern, wie sie in China genutzt werden, um Bürger zu kontrollieren. Das ist sicherlich gut und richtig – dennoch steht Künstliche Intelligenz wieder einmal als “böse” Technologie da und die Skeptiker jubeln Zustimmung.

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Wie steht Deutschland in Sachen KI

Tatsächlich herrscht in Deutschland in Sachen KI eine besonders regulierungsfreundliche Stimmung. Laut einer Bitkom-Umfrage von 2020 stimmen 85 Prozent der Deutschen der Aussage zu, “In Deutschland sollte KI-Software im internationalen Vergleich besonders gründlich geprüft und erst nach Zulassung in Geräten genutzt werden können.” Es sieht aus, dass die Deutschen eher skeptisch eingestellt sind und das hat sicher auch sein gutes. Niemand möchte, dass KI über Kreditwürdigkeit entscheidet oder in Kriegswaffen eingesetzt wird. Aber die Diskussion wird durch diesen negativen Ansatz unnötig auf die Risiken verkürzt. Die KI bekommt einen fragwürdigen Stempel und die Möglichkeiten der Technologie werden abgewunken.

So entsteht ein krasser Gegensatz zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim Stand der Digitalisierung in Deutschland. Nur eine von zehn Behörden in Deutschland verfügt über eine Digital-Strategie. Ganze 67 Prozent der VDE Mitglieder sagen, sie seien in Sachen KI mittelmäßig oder schlecht aufgestellt. Die Investitionen in KI Start-ups liegen in Israel pro Kopf bei 118 US-Dollar. In Deutschland sind es im Vergleich gerade einmal vier Dollar.

Meine These ist, dass dies auch an der Einstellung der deutschen Öffentlichkeit gegenüber der Künstlichen Intelligenz an sich liegt. Warum sonst befürchtet laut einer Bitkom Studie die Mehrheit der Deutschen, dass KI zu einer stärkeren Kontrolle der Arbeitnehmer führen wird (73 Prozent) und dass KI zum Abbau von Arbeitsplätzen beiträgt (65 Prozent), während eine Minderheit zustimmt, dass KI dabei hilft Fehler zu vermeiden (45 Prozent). Oder dass durch KI langweilige Routinetätigkeiten reduziert  werden und die Menschen sich auf interessantere Tätigkeiten konzentrieren können (45 Prozent). Dabei sind die beiden letzteren Punkte die zentralen Kernkompetenzen von Künstlicher Intelligenz.

Möglichkeiten und Chancen  durch die Anwendung von KI

Die Möglichkeiten, die in der Technologie schlummern, sind immens. Bislang sehen viele Menschen nur die Anwendungen von KI in den prominenten Beispielen selbstfahrender Autos oder der Gesichtserkennung durch das Smartphone. Vergessen wird die Vielzahl von Prozessen im Alltag, denen niemand nachweinen wird, wenn sie eine Maschine übernimmt. Das Rechnungswesen ist ein Beispiel, bei dem viele Arbeitsschritte repetitiv sind und große Datenmengen behandelt werden müssen. Bei solchen Aufgaben wird der Mensch einfach fehleranfällig, denn solch eine Arbeit wird auf Dauer grundsätzlich langweilig. Eine KI wird nicht müde, wenn sie Excel-Tabellen durchforstet und Zahlenreihen abgleicht. Und dies ist nur eines von vielen Beispielen, in der KI ganz simple Prozesse übernehmen kann. Wie es Richard David Precht kürzlich im Rahmen eines Interviews formuliert hat: “Wer will denn zurück in eine Arbeitswelt, in der man völlig formatierte, stupide Tätigkeiten macht.” KI wird auf Dauer nicht den Menschen abschaffen, sondern die Langeweile.

Zu den vielen Grautönen der Diskussion gehört natürlich auch, dass die deutsche Öffentlichkeit KI nicht nur skeptisch sieht. Danach gefragt, wo sie den Einsatz der Technologie begrüßen würde, geht der erste Platz an den Bereich “In der Pflege” (75 Prozent), auf Platz zwei landet “in Ämtern und Behörden” (73 Prozent) und Platz drei “in der Medizin” (67 Prozent). In allen drei Bereichen würde die KI nicht die Interaktion zwischen Menschen verhindern, sondern stärken: In der Pflege kann die KI den Papierkram des Pflegepersonals übernehmen; in Ämtern könnten Dokumente schneller zugeordnet und bearbeitet werden und es bleibt mehr Zeit, für Sachbearbeiter mit den Bürgern ins Gespräch zu kommen; In der Medizin kann KI Krankheiten entdecken, wo menschliche Sinnesorgane nicht ausreichen, aber auch Krankenakten verwalten und Abstimmungen mit Krankenkassen vereinfachen – und für das Personal bleibt mehr Zeit am Patienten. Wenn man einmal anfängt über die Möglichkeiten und Chancen nachzudenken, fragt man sich warum wir nicht längst viel offener gegenüber dieser Technologie sind.

Die Diskussion in Deutschland rund um KI braucht genau diesen Blickwinkel: Das Nachdenken über Möglichkeiten, über Utopien, darüber wie uns KI das Leben leichter machen kann. Natürlich braucht es auch immer Raum für Skepsis und Regulierungen. Doch wenn Deutschland sich weiterhin als Technologie-Vorreiter sehen möchte, müssen wir vom Zweifeln endlich ins Handeln kommen.

 

Martin

Rückert

Diamant Software -

Chief AI Officer

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