Interview zum „Daten-für-alle-Gesetz“

Internet-Giganten im Visier: Politik will Kartellrecht verschärfen

Die Politik will die Marktmacht der großen Tech-Konzerne brechen. Digitalunternehmen sollen verpflichtet werden, einen Teil ihrer Daten zu teilen – so sieht es das von SPD-Chefin Andrea Nahles geforderte „Daten-für-alle-Gesetz“ vor. Auch die am 4. September von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier präsentierte Expertenstudie zur Modernisierung des Kartellrechts sieht eine „Daten-Sharing-Pflicht“ vor.

Die Redaktion von it-daily hat Dr. Björn Herbers, Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS in Brüssel, gefragt, welche Chancen und Risiken mit der Forderung verbunden sind.

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Herr Herbers, was steckt hinter den Vorschlägen, Unternehmen zu verpflichten, ihre Daten zu teilen?

Dr. Björn HerbersBjörn Herbers: Die Tech-Märkte werden von einigen großen Unternehmen beherrscht. Wettbewerbsbehörden sind zuletzt spektakulär gegen einzelne Unternehmen vorgegangen. Trotzdem mehren sich Stimmen, die bezweifeln, dass das Kartellrecht den Wettbewerb wirksam schützen kann. Kartellrechtlich ist es erlaubt, Marktanteile zu gewinnen und eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen. Verboten ist, eine solche Position missbräuchlich auszunutzen. Die Behörden können also erst eingreifen, wenn etwas schiefgelaufen ist. Kartellverfahren sind langwierig. Die Befürchtung ist, dass in den schnelllebigen Digitalmärkten der Wettbewerb bis dahin völlig erstickt ist. Der Vorschlag für ein „Daten-für-alle-Gesetz“ setzt einen Schritt vorher an. Er sieht einen regulierten Zugang zu Big Data der Tech-Konzerne – dem Rohstoff der Digitalwirtschaft – vor. So soll der Wettbewerb wiederbelebt werden.

Wie soll so ein Datenzugang aussehen?

Björn Herbers: Nach dem Vorschlag soll ein Digitalunternehmen verpflichtet sein, einen anonymisierten und repräsentativen Teil seiner Daten öffentlich zu teilen, sobald es einen festgelegten Marktanteil für eine bestimmte Zeit überschreitet. Ziel ist, dass die Daten nicht mehr exklusiv einem Unternehmen gehören, sondern allen. Andere Unternehmen sollen auf dieser Basis eigene Produkte entwickeln und an den Markt bringen können.

Das klingt sehr abstrakt. Welche Daten müssten die Internetkonzerne konkret zur Verfügung stellen und wie würde dies praktisch gehandhabt werden?

Björn Herbers: Damit legen Sie den Finger in eine Wunde: Der Vorschlag hat zwar viel Zuspruch erhalten, die Details sind aber nicht geklärt. Das betrifft vor allem die Frage, welche Daten geteilt werden sollen. Auf vielen Märkten wäre ein Echtzeitzugriff auf Daten erforderlich, damit sie wirksam genutzt werden können. Zudem sollen repräsentative Daten zur Verfügung gestellt werden. Oft folgt der Wettbewerbsvorteil datenstarker Unternehmen gerade daraus, dass Daten individualisiert sind. Und ganz praktisch: Ein Datenzugang könnte nicht nebenbei, zum Beispiel vom Bundeskartellamt, verwaltet werden. Notwendig wären eine Regulierungsbehörde und komplexe Verfahren.

Ist das „Daten-für-alle-Gesetz“ also nur ein Luftschloss?

Björn Herbers: Ich halte es nicht für realistisch, dass ein „Daten-für-alle-Gesetz“ verabschiedet wird, das eine so breit angelegte Pflicht enthält, Daten zu teilen. Die vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragte „Studie zur Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen“ thematisiert die vielen ungelösten Probleme eines Datenzugangs. Sie schlägt daher auch nur vor, über solche Regelungen erst einmal weiter nachzudenken. Zudem würden die Autoren der Studie, zu denen der ehemalige Vorsitzende der Monopolkommission Professor Justus Haucap gehört, die „Daten-Sharing-Pflicht“ auf bestimmte Bereiche beschränken – wie das Internet of Things.

Welche Regelungen werden in der Studie des Bundeswirtschaftsministeriums stattdessen vorgeschlagen?

Björn Herbers: Die Studie setzt bei den bestehenden kartellrechtlichen Instrumenten an. Im deutschen Kartellrecht kann ein Zugangsanspruch bestehen, wenn ein Unternehmen auf die Belieferung mit bestimmten Ressourcen angewiesen ist, um Mehrwertdienste zu erbringen. Ein Beispiel ist der Zugang zum Diagnose- und Informationssystem eines Autoherstellers, um Reparaturdienstleistungen anbieten zu können. Wird die Belieferung verweigert, ist das missbräuchlich. Eine solche Ressource könnten auch Daten sein. Die geltende Rechtsprechung sieht allerdings Hürden vor, die gerade Ansprüche auf Zugang zu Daten erschweren. In der Studie wird daher vorgeschlagen, die Anforderungen an die Missbräuchlichkeit der Datenzugangsverweigerung zu senken. So soll vor allem der Zugang zu Daten, die quasi nebenbei und ohne besondere Investitionserfordernisse erzeugt werden, nicht verweigert werden dürfen. Damit soll ein Zugriff auf automatisiert erzeugte Maschinen- und Dienstenutzungsdaten eröffnet und eine weitere Wertschöpfung mit ihnen ermöglicht werden, etwa im Machine Learning.

Also eher ein Feintuning des Kartellrechts?

Björn Herbers: Genau. Die Expertenstudie schlägt ein Update des Kartellrechts vor, um die Missbrauchsaufsicht fit für Tech-Giganten zu machen. Ein wichtiges Element soll die Erleichterung des Zugangs zu nebenbei erzeugten Daten zur weiteren Wertschöpfung sein. Ein anderer Ansatzpunkt ist, den Kartellbehörden das Einschreiten zu ermöglichen, wenn Märkte vor dem Wendepunkt stehen und Unternehmen die Netzwerkeffekte weiter beschleunigen. Insgesamt sieht es nicht nach dem ganz großen Eingriff des Gesetzgebers zur Zäumung der Digitalmärkte aus. Es ist aber ein starkes Statement für mehr kartellrechtliche Kontrolle und mehr Wettbewerb auf diesen Märkten. Spannend wird, wie die Diskussion weitergeht und welche Vorschläge es ins Gesetz schaffen.

Dr. Björn Herbers ist Rechtsanwalt und Partner bei der Wirtschaftskanzlei CMS am Standort Brüssel. Er berät Unternehmen zu allen Fragen des europäischen und deutschen Kartellrechts.

www.cms.law
 

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