Die weltweiten CO₂-Emissionen haben 2024 neue Höchstwerte erreicht, was Unternehmen unter Zugzwang setzt. Wer Nachhaltigkeit weiterhin als isolierte Berichtsaufgabe behandelt, wird nicht nur regulatorisch unter Druck geraten, sondern auch Wachstumschancen verpassen.
Die entscheidende Wende bringt die doppelte Materialität oder doppelte Wesentlichkeit: Unternehmen untersuchen sowohl, wie sich ihr Handeln auf Umwelt- und Sozialfaktoren auswirkt („inside-out“), als auch, welche finanziellen Folgen ESG-Risiken für das eigene Geschäft haben („outside-in“). Dieser Perspektivwechsel verlagert ESG von Compliance auf Wertschöpfung.
Die doppelte Materialität verlangt, dass Technologie- und Geschäftsstrategie enger verzahnt werden. Unternehmen, die frühzeitig integrierte Steuerungsmodelle etablieren, profitieren doppelt: Sie optimieren Margen und Produktportfolios und senken Emissionen signifikant. Damit entsteht ein neuer Standard für Corporate Performance, der Nachhaltigkeit nicht als Kostenfaktor, sondern als Innovations- und Resilienztreiber begreift. Besonders wichtig ist dieser Ansatz in Branchen mit energie- und ressourcenintensiven Prozessen, wo selbst geringe Effizienzsteigerungen massive Klimaeffekte haben können.
KI wirkt schon heute: Wo Emerging Tech Nachhaltigkeit messbar macht
Künstliche Intelligenz wird in den kommenden fünf Jahren die einflussreichste Technologie für Nachhaltigkeit sein. Direkt dahinter folgen Automatisierung und Public Cloud. Der Grund: KI kann heterogene Datenquellen verknüpfen, Muster erkennen und operative Entscheidungen in Echtzeit verbessern. Und für die Energie- und Ressourceneffizienz ist diese Fähigkeit zentral.
Einige Praxisbeispiele, um dieses Potenzial zu verdeutlichen:
- Schifffahrt: Sofar Ocean kombiniert Sensoren, Bojen und Algorithmen für Routenoptimierung. Auf einer typischen Route Brasilien-China lassen sich pro Fahrt Treibstoffkosten in fünfstelliger Höhe und mehrere Hundert Tonnen CO₂ einsparen.
- Forstwirtschaft: Das Finnish Forest Centre verknüpft Geoinformationen, Wetter- und Bilddaten, um Waldgesundheit ohne aufwendige Vor-Ort-Inspektionen zu überwachen. Dies erhöht nicht nur Effizienz, sondern auch Resilienz einer für Finnland zentralen Exportbranche.
Diese Beispiele illustrieren ein Muster: KI entfaltet ihre größte Wirkung dort, wo sie direkt an potenzielle operative Bottlenecks ansetzt wie Energieverbrauch, Materialeinsatz, Wartungszyklen, Flächenoptimierung. Wer Nachhaltigkeitsnutzen schon im Designprozess integriert, erzielt positive Rückkopplungen zwischen Ressourceneffizienz, Kosten und Lieferkettenstabilität. KI hilft dabei nicht nur Emissionen zu reduzieren, sondern auch wirtschaftliche Risiken wie Lieferkettenunterbrechungen und Rohstoffpreise abzufedern kann.
Der Impact Radar von Gartner zeigt, wie KI-basierte Technologien heute schon Nachhaltigkeit messbar vorantreiben – von Energieeffizienz bis Ressourcenschonung. Quelle: Gartner (September 2025)
GenAI mit Augenmaß: Effizienzgewinne ohne Scheuklappen
Generative KI beschleunigt Content-, Design- und Analyseprozesse, hat dabei aber selbst einen relevanten Energie- und Emissionsfußabdruck. So ist der Betrieb von GenAI-Modellen oft acht- bis zehnmal energieintensiver als ihr Training. Und die Zahl der Anwendungsfälle wächst rasant, was den ökologischen Footprint potenziell vervielfacht.
Das heißt nicht, dass Unternehmen auf GenAI verzichten sollten. Aber sie sollte selektiv dort eingesetzt werden, wo der Geschäftsnutzen die Umweltlast übersteigt.
Einige Best-Practice-Beispiele:
- Airbus entwarf mithilfe generativer Modelle leichtere Bauteile und erreichte 45 % Gewichtseinsparung, dies mit großem Emissionshebel, wie auf der Gartner Tech Growth and Innovation Conference 2024 gezeigt wurde.
- Deloitte halbierte die Recherchezeit bei Technologie-Scouting-Projekten und beschleunigte so Nachhaltigkeitsportfolios.
- Die Forschung nutzt generative Modelle zur Simulation von Biodiversitätsmustern, um komplexe ökologische Wechselwirkungen besser zu verstehen.
Eine wichtige Stellschraube ist der Trend zu domänenspezifischen Sprachmodellen, die für einzelne Branchen trainiert werden. Sie sind zielgenauer, halluzinieren weniger und verbrauchen deutlich weniger Ressourcen. Zudem lassen sie sich weiterverkaufen oder mehrfach nutzen, statt jedes Mal neu trainiert zu werden. Dies reduziert nicht nur Kosten und Energiebedarf, sondern senkt auch regulatorische Risiken, weil kleinere Modelle oft besser kontrollierbar sind.
Führungskräfte sollten GenAI auf klar umrissene, ressourcenintensive Arbeitspakete fokussieren wie etwa Komponentendesign, Szenario-Screening, Portfolio-Priorisierung und den Betrieb auf energieeffiziente Infrastrukturen ausrichten. Ein weiterer Hebel ist die Integration von KI in die Produktentwicklung, um Emissionen und Ressourcenverbrauch schon in der Konzeptionsphase zu reduzieren.
Die Roadmap: Was Führungsteams in 6–18 Monaten umsetzen sollten
Das zeigt, dass es sich lohnt, Nachhaltigkeitsstrategien konsequent nach Business- und Klimaeffekt zu priorisieren. Folgende Schritte sollten Unternehmen daher auf die Roadmap setzen:
- Doppelte Materialität institutionalisieren: Scorecards einführen, die finanzielle und ökologische Kennzahlen gleichrangig bewerten und Produkt-Roadmaps daran ausrichten.
- Portfolio auf Wirkung scannen: Use-Cases priorisieren, die Kosten senken und Emissionen mindern – etwa in Asset-Optimierung, Energie- und Routensteuerung oder Cloud-Sustainability.
- GenAI selektiv einsetzen: Pro Use-Case den Netto-Nutzen (Produktivität, Emissionssenkung) gegen Energie- und Emissionskosten des Modells rechnen und schwache Cases streichen.
- Domänenmodelle vorziehen: Spezialisierte Modelle einkaufen oder wiederverwenden statt selbst trainieren, um Ressourcenbedarf zu senken.
- Mit Pilotprojekten starten: Wirkung belegen und dann in komplexere Bereiche wie Materials Informatics oder Biodiversität vorrücken.
Über diese fünf Punkte ist es sicherlich in den meisten Fällen notwendig, die eigene Technologiearchitektur zu prüfen: Public Cloud-Angebote unterscheiden sich stark in ihrer Energieeffizienz; Anbieterwahl und Architekturdesign beeinflussen den CO₂-Fußabdruck direkt. Außerdem sollten Unternehmen Lieferketten und Partnernetzwerke auf Nachhaltigkeitskriterien ausrichten, da KI-gestützte Datenanalysen Transparenz und Steuerbarkeit erhöhen.
Ein weiterer, nicht zu vernachlässigender Aspekt besteht darin, das Thema im Team richtig zu verankern: KI- und Nachhaltigkeitsteams sollten enger zusammenarbeiten, um Modelle nicht nur technisch, sondern auch regulatorisch und ethisch abzusichern. Dazu gehören Schulungen in Green AI und CO₂-Berechnung für IT-Teams ebenso wie klare KPIs für Produktverantwortliche.
Wertschöpfung statt „nur“ Compliance
Nachhaltigkeit neu denken bedeutet, sich von reiner Compliance zu verabschieden und auf Wertschöpfung zu setzen, dies gesteuert durch doppelte Materialität und beschleunigt durch KI. Emerging Tech liefert hier schon heute messbare Ergebnisse. Generative KI kann ein zusätzlicher Beschleuniger sein, sofern Ressourceneffizienz und Disziplin und klare Kriterien bei der Auswahl und Umsetzung von KI-gestützten Nachhaltigkeitsanwendungen herrschen.Unternehmen, die jetzt priorisieren und eine klare Roadmap implementieren, sichern sich doppelten Vorsprung: bessere Resilienz im Kerngeschäft und messbare Fortschritte beim Klimaziel.