Industrie 4.0: China im „Jahr der Innovation” auf erfolgversprechendem Weg|Kommentar

ChinaDer Megatrend Industrie 4.0 (auch „Integrated Industry“, „Industrial Internet“) verspricht, die Wertschöpfungsstrukturen und damit auch die industrielle Landschaft völlig umzugestalten. Bei dieser Umgestaltung will China eine wichtige Rolle einnehmen. Eine Kommentar von Dr. Stefan Heng und Jan Trenczek, Deutsche Bank Research.

Dazu hat das Land verschiedene Programme aufgelegt und bereits beachtliche Fortschritte erzielt. Industrie 4.0 steht damit weit oben auf der politischen Agenda. Dies unterstreicht nochmal mehr Chinas aktueller „Made in China 2025“-Plan. Sicherlich sind in China auch in dem gemeinsam mit Deutschland ausgerufenen „Jahr der Innovation“ immer noch beachtliche Aufgaben zu stemmen. Gleichwohl stellt sich die Kombination aus langfristiger Vision und konkreten Handlungsinitiativen durchaus erfolgversprechend dar.

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Vollumfängliche Re-Organisation und Automatisierung der Wertschöpfung

Grundsätzlich soll mit Industrie 4.0 eine vollumfängliche Re-Organisation und Automatisierung der Wertschöpfung vom Rohstofflieferanten über den Produzenten und Dienstleister bis hin zum Endverbraucher erreicht werden. Mit dem durchgängigen digitalen Informationsfluss werden sich traditionelle Wertschöpfungsstrukturen, nicht zuletzt bei der Produktion, dem Marketing und der Wartung, schnell weiterentwickeln müssen und althergebrachte Branchengrenzen weiter verschwimmen.

China führend

Zweifelsohne kann Industrie 4.0, entgegen manch übersteigerter Erwartungen, sicherlich nicht über Nacht umgesetzt werden. Stattdessen wird die Implementierung des Konzepts bei weitem eher in evolutionären als revolutionären Schritten erfolgen. Hierbei verdeutlichen empirische Beobachtungen, dass junge Unternehmen bei der Umsetzung typischerweise wesentlich schneller und konsequenter voranschreiten, als althergebrachte Unternehmen mit etablierten Wertschöpfungsstrukturen. Jungen Industriestrukturen fällt es damit offenbar leichter, sich auf diese grundlegende Veränderung einzustellen – nicht nur im Vergleich der inländischen Unternehmen, sondern auch im internationalen Vergleich.

China forciert den wirtschaftlichen Transformationsprozess

China hat die mit Industrie 4.0 verbundene Chance für sich erkannt. Das Land setzt nun verstärkt auf Innovation und Hochtechnologie, um den wirtschaftlichen Transformationsprozess in diese Richtung zu forcieren. So veröffentlichte die chinesische Regierung aktuell ihren „Made in China 2025“-Plan. Diese auf 10 Jahre angelegten Vorgaben ergänzen die regelmäßigen 5-Jahres-Pläne um eine langfristigere Vision. Dabei stellt „Made in China 2025“ beim Aufbau einer intelligent vernetzten Wirtschaft zehn Sektoren in den Mittelpunkt der Bemühungen, unterstreicht darüber hinaus aber auch die notwendige Fortentwicklung der Gesellschaft. Angesichts der ausgesprochenen Heterogenität in Wirtschaft und Gesellschaft ist dieses Ziel sowohl wesentlich als auch ambitioniert.

Tatsächlich ist China in vielen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Feldern gerade in der jüngeren Vergangenheit mit großen Schritten vorangekommen. Diese Fortschritte zeigen sich beispielsweise bei der verbesserten technischen Ausbildung der Erwerbstätigen, der steigenden Zahl an Patenten und dem massiven Ausbau öffentlicher Infrastrukturen (von Straßen-, Energie-, Kommunikationsnetzen, bis hin zu Schulen und Hochschulen). So stieg die Zahl der Hochschulabsolventen in den Natur- und Ingenieurswissenschaften zwischen 2000 und 2010 jährlich um durchschnittlich 14%. Demnach haben allein im Jahr 2010 immerhin 318.000 Studenten mit Bachelor in Naturwissenschaften abgeschlossen; 813.000 in Ingenieurswissenschaften.

Desweiteren verzeichnet China seit 2013 im Bereich Industrie 4.0 mehr Patentanmeldungen als die USA und Deutschland. Dazu passend ist China nun auch das Land mit den meisten Maschine zu Maschine-Verbindungen (2015: 50 Mio.), gefolgt von den USA (32 Mio.) und Japan (9,3 Mio.). Chinesische Unternehmensgiganten wie Huawei (Telekommunikationsgeräte) oder ZTE (IT Hardware) sind mit ihren großen Forschungseinrichtungen längst Treiber der globalen Technologieentwicklung.

Chinesische Version des deutschen „Mittelstandes“ im Entstehen

Bei den kleineren Unternehmen entsteht derzeit, laut Unternehmensberatung McKinsey, eine chinesische Version des deutschen „Mittelstandes“. Biotechnologie, Pharma, Medizintechnik, Telekommunikationsgeräte und Konsumentenelektronik bilden dabei den Schwerpunkt. In diesem Zusammenhang hat auch Chinas Internetwirtschaft weiter an Bedeutung gewonnen und lag bereits 2013 mit einem Anteil von gut 4% am Bruttoinlandsprodukt vor den USA, Frankreich und Deutschland. Entsprechend bezeichneten fast 60% der von der Unternehmensberatung Infosys weltweit befragten Führungskräfte China als führenden Anwender von Industrie 4.0.

Tatsächlich sind die Ertragspotenziale von Industrie 4.0 in China immens – allein schon angesichts der enormen absoluten Größe des Marktes. So umfasst der Markt für Industrieautomatisierung in China immerhin USD 100 Mrd. Die Produktion von Chinas Ausrüstungsindustrie überschritt in 2013 USD 3,2 Bill. Dabei ist Industrie 4.0 nicht allein die Kür, sondern wird selbst in China mit seinen schwindenden Lohnkostenvorteilen immer mehr auch zur Pflichtübung, um international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Auch in China sind noch enorme Anstrengungen notwendig

Bei aller Euphorie bezüglich des Quantensprungs hin zu Industrie 4.0 ist allerdings auch festzustellen, dass es in der chinesischen Wirtschaft noch erheblichen Nachholbedarf gibt, und viele Unternehmen noch weit vom Entwicklungsstand hiesiger Unternehmen entfernt sind. So stellt das World Economic Forum, eine internationale Organisation für öffentlich-private Kooperation, überdeutlich heraus, dass der chinesische Bildungsbereich insgesamt und speziell das Hochschulwesen wesentlich ausgebaut werden sollten. Dies zeigt sich schon daran, dass ein Großteil der chinesischen Erwerbstätigen internationale Ausbildungsstandards noch lange nicht erreicht hat. Immenser Nachholbedarf zeigt sich letztlich aber auch bei der Breitband-Penetration insgesamt, und speziell bei den Unternehmensanschlüssen. So schätzt McKinsey, dass lediglich jedes vierte chinesische Unternehmen über einen Internetzugang verfügt. Das starke Wachstum der letzten Jahre bei den Internet-Zugängen war demnach in erster Linie konsumentengetrieben, während es den Unternehmensbereich noch nicht hinreichend erfasst. Folgerichtig sind auch in China noch enorme Anstrengungen notwendig, bis die Vision von der umfänglich vernetzten Wertschöpfung Realität wird.

Viele Akteure haben mittlerweile erkannt, dass die immensen Aufgaben allein mittels Kooperationen auf den verschiedenen Ebenen zu stemmen sind. Entsprechend setzt auch China bei Industrie 4.0 nicht auf den Alleingang sondern baut die internationale Zusammenarbeit auch diesbezüglich aus. Die Deutsch-Chinesische Normungskommission, der China-Deutschland „Industrie 4.0 Dialog“, die „Deutsch-Chinesische Allianz für Berufsbildung“ sowie der Aktionsplan „Innovation gemeinsam gestalten!“ sind hier nur einige wenige Beispiele allein für die Zusammenarbeit mit Deutschland; als Vorreiter bei Industrie 4.0.

Aufgabe des Staatens ist die Bereitstellung einer modernen öffentlichen Infrastruktur 

Im Sinne des gesetzten Ziels sind solche Initiativen überaus lobenswert und sollten auch auf staatlicher Ebene weiter vorangetrieben werden. Dabei muss allerdings auch klar sein, dass der Staat bei den notwendigen Initiativen zur Umgestaltung der Wirtschaft in Richtung Industrie 4.0 letztlich nur eine unterstützende Rolle einnehmen kann. Speziell liegen die vornehmlichen Aufgaben des Staates hier bei der Bereitstellung einer modernen öffentlichen Infrastruktur und dem Angebot von Plattformen für den Austausch der vielfältigen Interessen im weiten Feld von Industrie 4.0 auf nationaler sowie internationaler Ebene. Mit dem „Made in China 2025“ hat sich China im „Jahr der Innovation“ auf einen erfolgversprechenden Weg gemacht, indem es die langfristige Vision mit konkreten Handlungsinitiativen kombiniert.

Stefan Heng, Deutsche Bank Research
Dr. Stefan Heng, Senior Economist, Deutsche Bank Research

und

jan trenczek

Jan Trenczek, Deutsche Bank Research

Weitere Information:

Chinas steigende Lohnkosten: Motor des Strukturwandels?

Industrie 4.0, Big Data und Cloud: Innovationstreiber von morgen

Industrie 4.0: Enorme Wertschöpfungspotenziale wollen gehoben werden

Industrie 4.0: Upgrade des Industriestandorts Deutschland steht bevor

 

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