Souveräne IT-Infrastrukturen

Deutschland-Stack: Das Potenzial zur digitalen Souveränität

Digitalisierung, Deutschland, Digitalpolitik, Digitalstrategie

Souveräne Tech Stacks für die öffentliche Verwaltung sollen Europas digitale Abhängigkeit verringern. Damit dies gelingt, müssen politische Vorgaben, offene Standards und die europäische Open-Source-Industrie zusammenwirken. Nur so entstehen nachhaltige, überprüfbare und souveräne digitale Infrastrukturen.

Digitale Infrastrukturen sind zu einem zentralen Baustein staatlicher Handlungsfähigkeit geworden. Ihre Ausgestaltung entscheidet darüber, ob Europa unabhängig, resilient und interoperabel agieren kann. Dabei geht es um mehr als Effizienz- oder Kostenfragen: Im Kern steht die Kontrolle über sicherheitskritische Systeme, Datenflüsse und technologische Abhängigkeiten.

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Mit dem Deutschland-Stack hat die Bundesregierung ein strategisches Digitalvorhaben initiiert, das erstmals einen Rahmen für souveräne IT-Infrastrukturen schaffen soll. Ohne klar definierte und verbindliche Kriterien besteht jedoch die Gefahr, dass Abhängigkeiten fortgeschrieben und strukturell verfestigt werden. Der Deutschland-Stack kann die digitale Souveränität voranbringen, aber nur, wenn aus Orientierung Verbindlichkeit wird.

Die entscheidende Frage liegt dabei nicht in Zielbildern, sondern im Code selbst: Wer entwickelt ihn, wer kontrolliert ihn und wer kann nachvollziehen, wie Daten verarbeitet werden? Wenn diese Grundlagen geklärt sind, kann Souveränität mehr sein als ein politisches Leitmotiv.

Warum es offene digitale Infrastrukturen braucht

Es zeigt sich, dass ein erheblicher Teil zentraler Infrastrukturen weiterhin außereuropäischen Rechtsordnungen unterliegt: Durch den US CLOUD Act oder FISA können US-Behörden unter bestimmten Bedingungen Zugriff auf Daten verlangen, selbst dann, wenn diese in einem europäischen Rechenzentrum liegen. Eine einzige Unternehmensverbindung über den Atlantik kann genügen, um solche Auskunftspflichten auszulösen.

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In Anhörungen vor dem französischen Senat bestätigte Microsoft, dass sie nicht garantieren können, dass Daten des europäischen öffentlichen Sektors außerhalb der Reichweite der US-Behörden bleiben. Ähnliche Bedenken wurden in den Niederlanden und Dänemark geäußert. Damit hat sich die zentrale Frage verschoben: Nicht mehr „Wo liegen unsere Daten?“ ist ausschlaggebend, sondern „Wer kontrolliert Zugriff, Betrieb, Updates und Sicherheitsmechanismen?“

Der Deutschland-Stack hat das Potenzial, Interoperabilität zu fördern, technische Mindeststandards zu definieren und eine transparente Referenzarchitektur bereitzustellen, die langfristige Kontrolle über Daten, Architekturen und Betrieb ermöglicht. In seiner aktuellen Ausgestaltung bleibt dieser Anspruch jedoch noch unverbindlich.

Souveränität durch nachvollziehbare Architektur

Souveränität entsteht dort, wo technische Abläufe transparent und Sicherheitsmechanismen überprüfbar sind. Kein sicherheitskritischer Bereich kann sich intransparente IT leisten. Hier ermöglicht Open Source unabhängige Audits, klare Nachvollziehbarkeit und echte technische Kontrolle. Aber: Ohne abgestimmte Kriterien drohen doppelte Entwicklungen zwischen Bund, Ländern und EU. Die konsequente Nachnutzung von Open-Source-Software kann davor schützen.

Europa verfügt über ein starkes mittelständisches Ökosystem, das frühzeitig eingebunden werden muss. Gleichzeitig braucht es einen verbindlichen Open-Source-Vorrang und Mindestanteile in der Beschaffung, um eine konsequente Ausrichtung auf Offenheit, Interoperabilität und Nachnutzbarkeit sicherzustellen.

Der Bitkom Open Source Monitor 2025 zeigt, dass 73 Prozent der Unternehmen Open Source als entscheidendes Instrument für digitale Souveränität betrachten. Die Nachfrage nach überprüfbaren, unabhängig betreibbaren Lösungen wächst damit nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich signifikant.

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Von der Strategie zur Umsetzung

Während der Deutschland-Stack bislang vor allem einen strukturellen Rahmen beschreibt, zeigen einzelne Bundesländer bereits heute, wie souveräne IT praktisch umgesetzt werden kann. 

In Schleswig-Holstein betreibt die Landesverwaltung beispielsweise ihre Videokonferenzinfrastruktur von OpenTalk vollständig lokal in einem BSI-zertifizierten Rechenzentrum und stellt sie zentral für alle Ministerien und Behörden bereit.

Thüringen verfolgt einen vergleichbaren Ansatz. Durch die frühzeitige Einbindung der Landesbehörden in die Entwicklung neuer Funktionen und die Anwendung des Prinzips „Public Money – Public Code“ entstanden offene und dokumentierte Ergebnisse, die auch von anderen Verwaltungen genutzt werden können.

Diese Beispiele zeigen: Digitale Souveränität entsteht dort, wo eine klare strategische Entscheidung getroffen und anschließend konsequent umgesetzt wird. Eine verbindliche Open-Source-Strategie ist dafür sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene erforderlich.

Der Weg zu echter europäischer Souveränität

Europa verfügt über die technischen Grundlagen und ein wachsendes Verständnis dafür, dass digitale Unabhängigkeit kein Zukunftsthema mehr ist, sondern eine Voraussetzung staatlicher Resilienz. Entscheidend ist nun die konsequente Finanzierung, der verlässliche Betrieb und die kontinuierliche Weiterentwicklung dieser Grundlagen.

Digitale Souveränität entsteht dort, wo Staaten Kontrolle über ihre Infrastrukturen behalten, Transparenz zur Bedingung machen und kritische Abhängigkeiten systematisch reduzieren. Der Deutschland-Stack kann hierfür ein zentrales Instrument sein, wenn Offenheit von Standards, Schnittstellen und Code zur verbindlichen Grundlage werden.

Jutta Horstmann

Jutta

Horstmann

Co-CEO

Heinlein Gruppe

Jutta Horstmann ist Informatikerin, Unternehmerin und Open Source-Expertin. Sie leitet als Co-CEO die Heinlein Gruppe, die Unternehmen und öffentliche Institutionen digitale Souveränität, Sicherheit und Nachhaltigkeit ermöglicht.
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