Die Human-Firewall bröckelt

Die psychologischen Kosten der Cybersicherheit

Burnout IT

Eine bestimmte Bedrohung macht IT-Sicherheitsabteilungen zu schaffen – und sie kommt von innen. Während Unternehmen Millionen in technische Abwehr investieren, kollabiert ihre wichtigste Verteidigungslinie unter psychischer Überlastung.

In den Security Operations Centers vieler Unternehmen arbeiten IT-Sicherheitsexperten rund um die Uhr daran, Cyberangriffe abzuwehren. Doch während die technischen Schutzmaßnahmen immer ausgefeilter werden, zeichnet sich ein Problem ab, das oft übersehen wird: die zunehmende Belastung der Mitarbeiter in der Cybersecurity-Branche.

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Das Paradox der modernen Cybersecurity

Während Unternehmen Millionen in die neuesten Sicherheitstechnologien investieren, übersehen sie eine kritische Schwachstelle: ihre eigenen Mitarbeiter. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Laut der Hack The Box Studie “Building a Firewall Against Cybersecurity Burnout” von 2024 haben bereits 74% aller Cybersecurity-Professionals krankheitsbedingte Auszeiten aufgrund arbeitsbedingter psychischer Probleme genommen.

Besonders dramatisch präsentiert sich die Situation auf Führungsebene. Der Großteil der Chief Information Security Officers leiden unter moderatem bis hohem Stress. Diese Menschen tragen die Verantwortung für die digitale Sicherheit ganzer Konzerne, während sie selbst am Rande der Belastbarkeit stehen.

Der Teufelskreis der Alert-Fatigue

Im Herzen des Problems liegt unter anderem ein Phänomen namens Alert-Fatigue. Security Operations Centers verarbeiten täglich tausende Warnmeldungen. Das menschliche Gehirn ist jedoch nicht dafür geschaffen, permanent auf höchster Alarmbereitschaft zu funktionieren. Die Konsequenz dieser Informationsflut ist verheerend: Viele Alerts werden schlichtweg ignoriert. Nicht aus Fahrlässigkeit, sondern aus schierer Überforderung der Sicherheitsanalysten.

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Die bittere Ironie dabei: Je gestresster die Verteidiger werden, desto angreifbarer wird das Unternehmen. Der SoSafe Human Risk Review 2024 mit über 1.250 Sicherheitsverantwortlichen in Westeuropa zeigt, dass 83% der IT-Sicherheitsexperten bestätigen, dass Burnout Fehler verursacht hat, die zu Sicherheitsverletzungen führten. Zusätzlich wird erklärt, dass chronischer Stress und Überlastung die Sicherheitsteams anfälliger machen, was die Gefahr von Datenschutzverletzungen direkt erhöht.

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Das unterschätzte Passwort-Problem

Parallel zur Burnout-Epidemie entwickelt sich ein weiteres Phänomen, das die Sicherheitslandschaft fundamental bedroht: die Passwort-Müdigkeit. Der moderne Arbeitnehmer verwaltet laut konservativ geschätzten Zahlen mindestens 27 berufliche Passwörter.

Die Beyond Identity Studie zur Passwort-Müdigkeit zeichnet hier ein besorgniserregendes Bild. 39% der US-Arbeitnehmer leiden unter hoher Passwort-Müdigkeit, mit dramatischen Sicherheitsfolgen: 82% der stark betroffenen Nutzer verwenden Passwörter mehrfach, verglichen mit nur 54% bei geringer Belastung. Noch erschreckender: 62% derjenigen mit hoher Passwort-Müdigkeit waren bereits Opfer von Cyberangriffen, während es bei niedrig belasteten Nutzern nur 29% sind.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen sind beträchtlich. Unternehmen verlieren durchschnittlich 480 US-Dollar pro Mitarbeiter und Jahr durch Produktivitätsverluste aufgrund von Passwort-Problemen.

Wenn Lösungen an der Realität scheitern

Die Technologie-Industrie hat längst Lösungen für viele dieser Probleme entwickelt. Passwort-Manager könnten das Datenleck-Risiko reduzieren, doch nur 36% der US-Erwachsenen nutzen sie bisher. In Deutschland sind es laut Bitkom sogar nur 20 bis 25 Prozent. Die Gründe reichen von mangelndem Bewusstsein bis hin zu Implementierungsbarrieren in Unternehmen.

Bei der Multi-Faktor-Authentifizierung zeigt sich ein positiverer Trend: Laut aktuellen Berichten und Studien nutzen etwa 49 Prozent der Deutschen inzwischen Zwei-Faktor-Authentifizierung (2FA), was ein Teil der Multi-Faktor-Authentifizierung (MFA) ist. Dennoch fehlt oft die flächendeckende, strategische Implementierung in Unternehmensumgebungen.

KI-gestützte Security Operations Centers versprechen Abhilfe bei der Alert-Fatigue, indem sie False Positives automatisch aussortieren. Doch selbst die fortschrittlichste Technologie kann das Grundproblem der chronischen Überlastung in Security-Teams nicht vollständig lösen.

Das Führungsproblem

Der Stress der CISOs entsteht laut Nominet hauptsächlich durch fehlende Unterstützung aus der Führungsebene. Etwa ein Drittel der amerikanischen CISOs berichtet, dass ihre Geschäftsführung und Aufsichtsräte die Realität von Cyberangriffen nicht anerkennen. Diese Führungskräfte haben unrealistische Erwartungen: Entweder denken sie, ihr Unternehmen sei für Hacker uninteressant, oder sie erwarten vom CISO vollständigen Schutz vor jeder Art von Sicherheitsvorfall. Diese unrealistischen Erwartungen setzen CISOs unter enormen Druck, da fast 30 Prozent der befragten amerikanischen CISOs damit rechnen, bei einem erfolgreichen Angriff abgemahnt oder sogar entlassen zu werden.

Vorreiter zeigen neue Wege

Einige Vorreiterunternehmen experimentieren bereits mit innovativen Arbeitsmodellen. 4-Tage-Wochen für SOC-Teams, Pflichtpausen zwischen kritischen Incidents und systematische Jobrotation zur besseren Lastverteilung werden zunehmend als geschäftskritische Notwendigkeiten erkannt. Mental-Health-Programme sind dabei keine Kür mehr, sondern Pflicht.

Der Weg aus der Krise

Erfolgreiche Unternehmen verfolgen eine mehrstufige Strategie. Sofortmaßnahmen umfassen die flächendeckende Einführung von Passwort-Managern, die Implementierung von Single Sign-On-Lösungen und regelmäßige Stress-Assessments in Security-Teams. Die Optimierung bestehender Tool-Konfigurationen zur Reduzierung von False Positives kann bereits kurzfristig spürbare Entlastung schaffen.

Mittelfristig müssen Unternehmen redundante Teams aufbauen und systematisch wiederkehrende Sicherheitsaufgaben automatisieren. Die langfristige Vision umfasst die Migration zu passwordless Authentication und den Aufbau KI-gestützter Security Operations Centers.

Kulturwandel als Schlüssel

Das größte Hindernis ist oft die Unternehmenskultur. In vielen Organisationen gilt es als Schwäche, wenn man zugibt, überfordert zu sein. Psychische Belastung darf nicht länger als persönliches Versagen stigmatisiert werden, sondern muss als managebares Geschäftsrisiko behandelt werden.

Fazit: Ein überfälliger Paradigmenwechsel

Die Investition in die psychische Gesundheit der IT-Sicherheitsteams ist keine Sozialromantik, sondern eine geschäftskritische Notwendigkeit. Unternehmen, die ihre wichtigste Verteidigungslinie überlasten, schaffen ihre größte Schwachstelle selbst.

Der Paradigmenwechsel hin zu einer ganzheitlichen Cybersecurity-Strategie, die den menschlichen Faktor ernst nimmt, ist nicht nur überfällig – er entscheidet über Erfolg oder Misserfolg im digitalen Abwehrkampf. Die beste Firewall der Welt nützt nichts, wenn die Menschen dahinter ausbrennen.

Lars

Becker

Redakteur

IT Verlag GmbH

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