Pseudoagil? Was Unternehmen von Cargo-Kulten lernen können

Der digitale Wandel verstärkt den Druck auf Unternehmen, sich an die modernen Gegebenheiten anzupassen. Bei zahlreichen Managern steht in diesem Zusammenhang vor allem ein Stichwort im Fokus: Agilität. Die Devise: Alles soll ab sofort anders sein.

Blind alles der Konkurrenz nachzumachen, hat oftmals Probleme statt Produktivitäts- und Umsatzsteigerung zur Folge – und erinnert an die bekannten Cargo-Kulte Melanesiens. Welche Schlüsse können die Verantwortlichen für ihr Unternehmen hieraus ziehen?

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Erfolglose Nachahmung

Bereits die Ureinwohner Melanesiens stellten fest, dass Imitation nur selten zu Erfolg führt. Ende des 19. Jahrhunderts nutzten amerikanische Besatzungstruppen die pazifischen Inselgruppen als Versorgungszentrum. Das führte dazu, dass zahlreiche Flugzeuge Kleidung, Nahrungsmittel und weitere Waren über dem Land für die US-Armee abwarfen. Als diese jedoch wieder abzog und somit auch die Lieferungen ausblieben, ahmten die Einheimischen das Verhalten der Amerikaner nach. So bauten sie beispielsweise Kopfhörer aus Holz nach oder errichteten Landebahnen mit Signalfeuern, um Flugzeuge anzulocken – jedoch ohne Erfolg. „Diese sogenannten Cargo-Kulte ahmen das sichtbare Verhalten anderer nach, ohne es jedoch zu verstehen“, erläutert Beims. „Dass bei der Imitation anderer nicht die gleichen Ergebnisse herauskommen, führt oftmals zu großer Verwunderung, ist jedoch rasch erklärt. Meist sind ganz einfach die Voraussetzungen verschieden.“

Auch auf die Arbeitswelt trifft das zu: Jedes Unternehmen verfügt über einen anderen Ausgangspunkt, über andere Prozessabläufe und Mitarbeiter, die wiederum ebenfalls verschiedene Erfahrungen sowie einen unterschiedlichen Stand an Know-how aufweisen, die in ihre Handlungen mit einfließen. Dazu kommt noch, dass sich die Art zu arbeiten gerade grundlegend ändert: Agilität ist Trumpf. Unternehmen müssen sich an immer schneller verändernde Kundenanforderungen anpassen, um auf dem Markt zu bestehen. „Agile Ansätze haben aber nur eine Chance, wenn eine Anpassung der Führungs- und Zusammenarbeitskultur erfolgt, statt sie einfach als „Kult“ über die Belegschaft zu stülpen. Ohne einen geeigneten Rahmen haben vordergründig verordnete Arbeitsweisen keinen langfristigen Erfolg“, so Beims.

Arbeitsumfeld optimieren

Nötige Veränderungen der Führungskultur und in der Zusammenarbeit sollten stets intrinsisch motiviert sein. Fünf wesentliche Kriterien für eine agile Rahmengestaltung kristallisieren sich hierbei als entscheidend heraus: den Einsatz keiner oder nur sehr weniger Hierarchieebenen, gemeinsame Werte und Ziele, fachübergreifende Zusammenarbeit, eine positive Fehlerkultur sowie Führung mit Vertrauen und Verantwortung. „Wenn Teams agil operieren sollen, macht es etwa wenig Sinn, diese in starre Hierarchien zu pressen. Entscheidungen müssen dort getroffen werden können, wo die Ergebnisse entstehen“, weiß Beims. Schnellere Innovation und kürzere Entwicklungszyklen entstehen nicht, wenn jede Änderung vor der Umsetzung erst alle Instanzen des Unternehmens durchlaufen muss und die Verantwortung hierarchieaufsteigend nach oben abgegeben wird. „Dies gelingt nur, wenn eine von Vertrauen geprägte Atmosphäre vorherrscht, aus der verantwortungsvolles Handeln entsteht“, erklärt Beims. „Eng damit verbunden ist das Thema Arbeitsumfeldgestaltung. So erreichen Führungskräfte beispielsweise durch unterschiedliche Faktoren eine enorme Motivationssteigerung innerhalb der Belegschaft.“ Manager können auf vielfältige Optionen zurückgreifen: Unter anderem der Verzicht auf feste Arbeitszeiten sowie eine Anwesenheitspflicht sind hier ebenso aufzuführen wie eine freie Urlaubseinteilung in Absprache. Jeder Angestellte arbeitet so, wie er es am besten kann, und in der für ihn geeigneten Umgebung.

Doch Achtung: Das befreit den Firmenchef nicht von unternehmerischen Richtungsentscheidungen. Daneben sollten gemeinsame Werte und Ziele als Leuchtturm für die Unternehmensrichtung dienen und so Leitplanken für Entscheidungen schaffen. Unternehmen sollten gezielt nach Arbeitnehmern suchen, die ihren Wertekanon teilen. Neben gemeinsamen Werten bildet eine interdisziplinare Teamzusammenstellung die Grundlage für eine moderne Zusammenarbeit. Dies fällt besonders in großen Konzernen schwer, da sie oft jahrzehntelang durch striktes Silodenken geprägt sind. Effektive und agile Teamarbeit kann sich nur entwickeln, wenn eine positive Fehlerkultur die Philosophie des Unternehmens bestimmt. „Eine offene Fehler- und Lernkultur lässt hierarchieübergreifend inhaltliche Diskussion zu, entwickelt alternative Lösungen und fördert die Innovationskraft. So erzeugt dieser Umgang mit Herausforderungen Stabilität und Ruhe im Unternehmen“, erläutert der geschäftsführende Gesellschafter.

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Individuelle Konzepte

Für eine erfolgreiche Implementierung agiler Formen müssen Unternehmen die Arbeitswirklichkeit aller Arbeitnehmer unter die Lupe nehmen. Denn das pure Imitieren von agilen Methoden, die in anderen Betrieben funktionieren, reicht hier nicht aus. „Um langfristig im Wettbewerb mithalten zu können, müssen die Verantwortlichen den Fokus auf die Anpassung der Führungs- und Zusammenarbeitskultur legen und dabei individuell auf die Gegebenheiten des Unternehmens Rücksicht nehmen“, empfiehlt Beims. Nur durch zugeschnittene Konzepte erhalten Unternehmen Vorteile – und vermeiden eine Nachahmung, die wie bei den Einwohnern Melanesiens ins Leere läuft.  

Martin BeimsMartin Beims, geschäftsführender Gesellschafter der Aretas GmbH.  

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