Warum die 183-Tage-Regel nicht alles ist, was Digitalnomaden wissen müssen

Büro am Strand, Steuerfalle im Nacken?

Remote Work, Flexibilität, Arbeitswelt

Ortsunabhängiges Arbeiten bietet neue Freiheiten, bringt aber auch komplexe steuerliche Pflichten mit sich.

Wer langfristig im Ausland seinem Beruf nachgeht, sollte sich mit den Feinheiten im deutschen Recht auseinandersetzen und professionell planen.

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Heute Bali, in einem halben Jahr Lissabon, Madeira, Kapstadt oder doch lieber Berlin? Für zahlreiche Freelancer, einige Selbstständige und andere Remote Worker, die zu den schätzungsweise weltweit 35 Millionen Digitalnomaden gehören, sind solche Überlegungen Teil ihres Arbeitsalltags. Aber einfach Koffer packen, um dem klassischen Bürotrott zu entfliehen, funktioniert nicht. Der Lebensstil eines Weltenbürgers birgt einige Herausforderungen. Zahlreiche digitale Nomaden arbeiten ohne soziale Absicherung und leben in rechtlich unsicheren Situationen. Entsprechend wichtig ist es, bei der Wahl des Arbeitsortes nicht nur auf Faktoren wie gutes WLAN, niedrige Lebenshaltungskosten und ausreichend vorhandene Co-Working-Spaces zu achten. Es gilt vor allem, bürokratische Fragen nicht aus den Augen zu verlieren. Neben der Klärung von Visa-Angelegenheiten heißt das vor allem, steuerliche Überlegungen von Anfang an in die Reisepläne einzubeziehen. Denn ob sich etwa das deutsche Finanzamt mit Forderungen meldet, hängt maßgeblich vom eigentlichen Lebensmittelpunkt ab – und nicht allein von der viel zitierten 183-Tage Regel

Deutschland und seine unbeschränkte Steuerpflicht  

Wer seinen Wohnsitz von der Bundesrepublik dauerhaft oder für mehr als ein halbes Jahr in ein nomadenfreundliches Land wie Estland, Georgien, Thailand oder Indonesien verlegt, muss in der Regel auch dort Abgaben zahlen. Allerdings erlischt die unbeschränkte Steuerpflicht dadurch hierzulande nicht automatisch. Denn steuerlich ansässig sind in Deutschland erst einmal alle, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihren Wohnsitz in einem der 16 Bundesländer haben. Und genau in dem „oder“ liegt die Crux. Ein Wohnsitz nach § 8 AO ist dort, wo jemand eine Wohnung innehat, über die jederzeit verfügt werden kann. In der Praxis fallen darunter aber nicht nur die eigenen vier Wände, sondern etwa auch ein weiter existierendes Jugendzimmer im Elternhaus oder der Besitz eines Schlüssels zur leer stehenden Eigentumswohnung der Schwester. Besteht kein Wohnsitz, prüfen die Behörden auch den „gewöhnlichen Aufenthalt“ nach § 9 AO. Dabei geht es explizit nicht um Besuche, Erholungstrips oder andere private Reisen in die alte Heimat, die kürzer als ein Jahr sind. Laut Gesetz hat jemand einen gewöhnlichen Aufenthalt an einem Ort, wenn sich erkennen lässt, dass hier nicht nur vorübergehend verweilt wird – zeitlich sind das sechs zusammenhängende Monate. Da es aber keine eindeutige Definition für die Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts gibt, nutzen Behörden bei der Prüfung Indizien. Dazu gehören beispielsweise Fragen wie: Besteht von Anfang an eine Rückkehrabsicht? Oder hält sich die Person in keinem anderen Land mehr Tage pro Jahr auf als in Deutschland? Je nachdem, wie die Antworten hier ausfallen, lässt sich daraus ein Lebensmittelpunkt ableiten. 

Arbeiten in der Ferne, Lebensmittelpunkt in der Heimat?

Zwar besteht auch für den sogenannten Mittelpunkt der Lebensinteressen keine juristische Definition im deutschen Steuerrecht, es ergeben sich jedoch Anknüpfungspunkte für das Finanzamt – etwa wenn Menschen keinen oder mehrere steuerliche Wohnsitze haben oder sich der gewöhnliche Aufenthalt nicht anhand der bereits angerissenen 183-Tage-Regelung bestimmen lässt. Dabei wird der Begriff Lebensmittelpunkt (gemäß OECD-Musterabkommen von 2017) zumeist dann herangezogen, wenn zwischen zwei Staaten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) bestehen. Wobei die genaue Formulierung einigen Interpretationsspielraum lässt: Denn der Staat, zu dem Digitalnomaden engere persönliche und wirtschaftliche Beziehungen unterhalten, gilt als Lebensmittelpunkt. Also zählen alle Bereiche des Lebens dazu: Familie, Freizeitgestaltung, Sozialleben, Einkünfte oder unternehmerische Tätigkeit. Wer also beispielsweise verheiratet ist, aber vom eigenen Ehepartner im Ausland getrennt lebt, könnte noch einen Lebensmittelpunkt in Deutschland haben.  

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Das verflixte halbe Jahr 

Um die Steuerpflicht zu bestimmen, nutzen Finanzbehörden vor allem die 183-Tage-Regel. Die entspricht der 6-Monats-Frist aus dem zweiten Satz in § 9 AO. Allerdings liegt der Berechnung nicht das Kalenderjahr zugrunde, sondern ein rollierendes Jahr. Im Normalfall endet der „gewöhnliche Aufenthalt“ mit dem Tag der Ausreise aus Deutschland. Allerdings gibt es hier auch Stolperfallen. Wer beispielsweise am 20. Dezember eine offizielle Abmeldebescheinigung bekommt, aber erst nach Silvester am 9. Januar ausreist, beendet seinen gewöhnlichen Aufenthalt erst am 9. Januar, was zumindest eine Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland für das gesamte Folgejahr nach der Abmeldung auslöst – und das selbst wenn potenziell nur eine beschränkte Steuerpflicht gegeben ist. Auch wer plant, sich künftig häufiger in Deutschland aufzuhalten, sollte all das vermeiden, was als Indiz für einen gewöhnlichen Aufenthalt ausgelegt werden kann. Dazu zählt etwa auch eine deutsche Krankenversicherung, die Behörden als Rückkehrabsicht deuten könnten. Gleiches gilt sogar für Autos, die in der Bundesrepublik bleiben. 

Weltweit arbeiten heißt weltweit planen 

Grundsätzlich besteht für in Deutschland steuerlich ansässige Menschen die Möglichkeit, bis zu 183 Tage im Jahr remote aus dem Ausland zu arbeiten, ohne dass dies automatisch zu steuerlichen Konsequenzen im Gastland führt. Diese Regel ist jedoch kein Freibrief: Die genaue Auslegung hängt stark vom Einzelfall ab und kann je nach zuständigem Finanzamt unterschiedlich beurteilt werden. Jemand, der als Freelancer, Selbstständiger oder Angestellter mehr als die Hälfte des Jahres mobil in der Welt tätig ist, gilt auch im Gastland als steuerlich ansässig, wodurch unter Umständen eine doppelte oder gar multiple Erklärungspflicht entsteht. In Deutschland bleibt man hingegen aufgrund des hiesigen Wohnsitzes steuerpflichtig. Die genaue Höhe der Abgaben ist dabei individuell und unter Berücksichtigung des jeweiligen Rechts sowie der einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen zu klären. Ein Steuerberater kann hier helfen, die spezifische Situation besser zu verstehen und die optimalen Schritte zu planen.

Juhn

Christoph

Juhn

JUHN Partner GmbH

Prof. Dr. Christoph Juhn ist Professor für Steuerrecht, Steuerberater und besitzt einen Master of Laws.  Er gründete – nach Anstellungen in zwei Steuerberatungsgesellschaften – im Jahr 2015 die JUHN Partner GmbH und  2017 die JUHN BESAU GmbH.
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