Interview

SAP S/4HANA: Unternehmen sollten mit der ERP-Umstellung beginnen

Der Handlungsbedarf ist hoch: Im Jahr 2025 will SAP die Wartung von SAP ERP Central Component (SAP ECC) beenden – doch derzeit stehen viele Unternehmen noch ganz am Anfang der Planungen zur Einführung der Folgeversion SAP S/4HANA oder haben noch gar nicht mit dem Umstieg begonnen. Ein Interview mit Marco Lehmann, Partner und Head of ERP Consulting bei KPMG.

Was sind die größten Veränderungen von SAP S4/HANA im Vergleich zur Vorgängerversion – und welche Vorteile oder Nachteile ergeben sich dadurch für Unternehmen?

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Marco Lehmann: S/4HANA ermöglicht einen schnelleren Zugriff auf große Datenmengen. Diese lassen sich nahezu in Echtzeit verarbeiten, verknüpfen und analysieren. Außerdem setzt es verstärkt auf Standards, um über Unternehmensgrenzen hinweg enger zusammenzuarbeiten – zum Beispiel in der Lieferkette. Die neue Generation verbessert und beschleunigt somit Geschäftsprozesse. Unternehmen können schneller und flexibler auf neue Anforderungen beispielsweise von Kunden reagieren. Außerdem bietet S/4HANA Vorteile für die Nutzung von Cloud-Lösungen und den Einsatz von maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz.

Eine besondere Herausforderung bei der Umstellung auf S/4HANA ist, dass sie mit strukturellen, prozessualen und organisatorischen Veränderungen einhergeht und im ganzen Unternehmen gut vorbereitet werden muss.

Welche Konsequenzen hätte es, wenn Unternehmen die Umstellung auf SAP S/4HANA bis 2027/2030 versäumen?

Marco Lehmann: Die Wartung für die bisherige Systemlösung läuft aus, Fehler und Schwachstellen werden nicht mehr durch Updates behoben. Dadurch ergeben sich Risiken für den Systembetrieb und letztlich auch für die Unterstützung der betrieblichen Prozesse. Dazu kommt: Die heutigen Systeme genügen den wachsenden Anforderungen schon heute vielfach nicht mehr. Deshalb arbeiten Unternehmen oftmals mit Ersatzlösungen und Workarounds, die man beseitigen sollte. Je früher man mit der Planung und der Umstellung auf S/4HANA beginnt, desto früher kann man auch von dessen Vorteilen profitieren.

Was sind die Gründe dafür, dass noch viele Unternehmen nur sehr zögerlich bei der Umstellung auf SAP S/4HANA vorgehen?

Marco Lehmann: Vielen Unternehmen erscheint der Zeitraum, bis SAP die Wartung der aktuellen Business Suite beendet, noch sehr lange. Daher wird wenig Druck empfunden, die Umstellung auf S/4HANA schon jetzt anzugehen. Unternehmen, die sich mit dem neuen Produkt beschäftigen, erkennen, wie komplex das Transformationsprojekt ist und welche Fallstricke lauern. Das schreckt ab, sodass viele Unternehmen das Vorhaben häufig vor sich herschieben. 

Welche Grundsatzfragen gilt es vorab zu klären?

Marco Lehmann: Die Umstellung auf S/4HANA bietet die Chance, Geschäftsprozesse zu optimieren und Systeme im Unternehmen aufzuräumen. Man muss allerdings nicht zwingend alles vom Kopf auf die Füße stellen, sondern sollte sich ambitionierte, aber realistische Ziele setzen. Das bedeutet, vorab zu analysieren, wie umfangreich und weitreichend die Transformation tatsächlich sein muss bzw. sein kann. Das hilft, von Beginn an Prozesssicherheit herzustellen und eine erfolgreiche Transformation zu gewährleisten.

Welche Abteilungen sollten Ihrer Ansicht nach bei der Transformation mit ins Boot geholt werden?

Marco Lehmann: Das ERP wirkt in alle Bereiche des Unternehmens hinein – von der Beschaffung über Accounting, Vertrieb, die Steuerfunktion bis hin zu HR und Corporate Governance. Daher sollten sich alle Abteilungen mit dem Projekt befassen und im Vorfeld klären, welche Ziele mit der Umstellung auf S/4HANA verbunden sein können bzw. sollen und welche Hürden und Risiken im Transformationsprozess zu beachten sind.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse aus der Studie, die KPMG zusammen mit Lünendonk erstellt hat? Hat Sie ein Ergebnis überrascht?

Marco Lehmann: Die Studie zeigt, dass sich die Mehrheit der Unternehmen bereits konkret mit S/4HANA befasst – jedes zweite Unternehmen will im Zuge der Umstellung auch Prozesse anpassen und Änderungen vornehmen. Allerdings belegt die Umfrage auch, dass vielfach der Aufwand unterschätzt wird. Mehr als 70 Prozent wollen erst von 2022 an mit dem Rollout beginnen. Zum Zeitpunkt der Befragung war die Einstellung der Wartung noch auf 2025 terminiert. Somit blieben zum damaligen Kenntnisstand nun noch drei Jahre für den Rollout. Das ist aus meiner Sicht zu knapp bemessen. Vor dem Hintergrund der Fristverlängerung erscheint die Umsetzung nun realistischer. 

Würden Sie Ihren Mandanten die Greenfield- oder die Brownfield-Methode empfehlen? Sehen Sie hier Unterschiede für Großkonzerne und Mittelständler?

Marco Lehmann: Keine der beiden Methoden ist per se besser oder schlechter. Die Wahl wird individuell ausfallen und hängt weniger von der Unternehmensgröße ab als vom Alter und Zustand der aktuellen Systemlandschaft im Unternehmen und dem Bedürfnis zur Veränderung bestehender Strukturen. Zur Brownfield-Methode, also einer System-Konvertierung, ist nur zu raten, wenn die Systeme kaum Altlasten haben. Sind sie jedoch veraltet oder nicht konsolidiert, wird ein Neu-Design von Grund auf – also der Greenfield-Ansatz – empfehlenswert sein. Ebenso, wenn ohnehin grundlegende Transformationsinitiativen geplant sind, die sich mit der Systemumstellung verbinden lassen. 

Deshalb ist es essentiell, vor der Entscheidung für Brown- oder Greenfield die aktuellen Systeme und Prozesse vollumfänglich zu analysieren und zu bewerten. Außerdem gibt es zwischen Brown- und Greenfield dann doch viele Zwischenvarianten. Bei der Wahl der Methode sollte man nicht allein den Zeit- und Ressourcenaufwand betrachten, sondern die Vorteile bedenken, die eine Neuimplementierung bringt. Diese Investitionskosten zahlen sich letztlich längerfristig aus.

Stehen den Kunden für die erfolgreiche Transformation überhaupt genügend Berater zur Verfügung?

Marco Lehmann: Gerade in jüngerer Zeit wird diese Frage im Markt stark thematisiert. Ich glaube, dass zusätzlich zu betrachten ist, wie SAP sich bezüglich der Migrationspfade zum Produktwechsel aufstellt. Wenn wirklich jeder zweite Kunde – wie die Studie von KPMG in Zusammenarbeit mit Lünendonk identifiziert – die Prozesse optimieren möchte, dann wird sich das im Markt bemerkbar machen.

 

 

Lehmann Marco

KPMG -

Partner und Head of ERP Consulting

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