Nach dem Chipmangel steht die Softwarekrise ins Haus

„Die Herausforderung für die Digitalisierung besteht darin, immer komplexere Software in immer kürzerer Zeit zu programmieren“, sagt Edward Lenssen, CEO der Software-Entwicklungsfirma Beech IT. Der Experte mahnt: „Ganze Wirtschaftszweige wie die Automobilindustrie und die Logistikbranche müssen ihre Softwarekompetenz und ihre Programmierkapazitäten drastisch erhöhen, um künftig wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Mit Blick auf die Automobilbranche sorgt sich Edward Lenssen: „Wenn die Hersteller so weiter­machen wie bisher, werden sie von der aktuellen Chipkrise direkt in die Softwarefalle tappen. Das Smart Car der Zukunft wird vornehmlich ein Computer auf vier Rädern mit hundertmal so viel Software wie heutige Autos sein. Die derzeit hektische Optimierung der Lieferketten darf daher nicht bei den Chips halt machen, sondern muss darüber hinaus Programmier­kapazitäten in großem Umfang umfassen.“ 

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„Das Leben hängt von Künstlicher Intelligenz ab“

Edward Lenssen verweist auf Schlüsselergebnisse des von Beech IT in Auftrag gegebenen Reports „IT-Trends der 2020er Jahre“, der auf einer Umfrage unter 100 Fachleuten beruht. Demnach gehen 61 Prozent der Experten davon aus, dass sich Software in den nächsten Jahren für die Wirtschaft als der entscheidende Erfolgsfaktor herauskristallisieren wird. 76 Prozent stufen Künstliche Intelligenz (KI) „in zunehmendem Maße als unerlässlich für die Wettbewerbsfähigkeit“ ein. „Bei künftigen Generationen selbstfahrender Autos hängt das Leben der Insassen und anderer Verkehrsteilnehmer von der Funktionstüchtigkeit der KI-Software ab“, gibt Edward Lenssen zu bedenken.

Langfristig empfiehlt der Beech-CEO den Autoherstellern, massiv in die Entwicklungskapazitäten von Halbleitern und Software zu investieren. Kurz- bis mittelfristig kämen Daimler, BMW oder VW jedoch nicht darum herum, sich über die Halbleiterversorgung hinaus externe Softwareentwicklungsteams zu sichern. Er sagt: „Um im Automobilmarkt der Zukunft mithalten zu können, müssen die deutschen Hersteller Softwareentwicklungsabteilungen beinahe so groß wie bei Apple, Amazon, Google oder Tesla aufbauen. Dies wird jedoch ein langwieriger Prozess von mindestens fünf bis zehn Jahren sein. In dieser Zeit ist die Industrie gut beraten, sich jede Programmierleistung einzukaufen, die sich auf dem Markt findet. Ohne ausreichende Softwarekapazitäten ist die deutsche Automobilindustrie dem Untergang geweiht.“

Künftige Softwaredefizite sind absehbar wie der heutige Chipmangel

Nach Angaben von Edward Lenssen verfügt ein herkömmlicher moderner Oberklasse-Pkw ohne KI-Steuerung heute schon über weit mehr als 100 Millionen Zeilen Programmiercode. Ein selbst­fahrender KI-Wagen wird deutlich über eine Milliarde Programmzeilen benötigen, schätzt der Experte. Er verweist darauf, dass alle Google-Services zusammengenommen derzeit bereits mehr als zwei Milliarden Zeilen Softwarecode umfassen. 

Edward Lenssen warnt: „Der Bedarf an Software wird in den nächsten Jahren exponentiell wachsen. Nur wenige Firmen in der Automobilindustrie und auch in anderen Branchen haben einen Plan, wie sie dieser Herausforderung begegnen wollen. Für diese Unternehmen werden die Softwaredefizite in den nächsten Jahren genauso überraschend kommen, wie der aktuelle Chipmangel, obgleich beides lange Zeit voraus­zusehen war.“

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