Erfunden, getrickst und getäuscht: In den sozialen Medien kursieren bewusst inszenierte Lügen zu Bundeskanzler Friedrich Merz.
Wer könnte dahinterstecken – und um welche Themen kreisen aktuelle Falschnachrichten?
Die Bundesregierung registriert besonders seit seiner Vereidigung als Kanzler «ein grundsätzlich starkes Aufkommen von Posts», wie ein Regierungssprecher auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur sagt. Der Ton habe sich im Vergleich zur letzten Legislaturperiode verschärft. «Wir nehmen dabei sowohl Desinformation als auch persönliche Diskreditierung und Propaganda auf vielen Kanälen wahr», ergänzt der Sprecher.
Im Netz kursieren nahezu täglich angebliche politische Initiativen des Bundeskanzlers. Offenbar mit dem Ziel, ihn und seine Partei in der neuen Machtposition zu diskreditieren. Die jüngsten Falschbehauptungen drehen sich um die Einführung einer Schulsteuer, die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit, Hausbesuche bei Krankmeldungen und den früheren Beginn der Nachtruhe. Solche Nachrichten können emotionalisieren – obwohl sie alle frei erfunden sind.
Experte: Merz seit Ampel-Aus im Visier der Fake News
Ein gefaktes Video lässt Merz sogar für zweifelhafte Finanzprodukte werben. Eingebettet ist die Filmsequenz scheinbar in den Online-Artikel einer Tageszeitung. Doch auch der ist gefälscht – auf dem Internet-Portal des Blattes sind weder Text noch Video je erschienen.
Falschnachrichten mit dem Fokus auf Merz beobachten auch Experten beim Institute for Strategic Dialogue (ISD), einer unabhängigen Organisation, die sich unter anderem mit der Bekämpfung von Desinformation beschäftigt. Ins Visier der Fake News sei Merz als CDU-Kandidat nach dem Zusammenbruch der Ampel-Regierung Ende vergangenen Jahres geraten, erläutert ISD-Analyst Pablo Maristany de las Casas. Seit seinem Amtsantritt und dem Signal, weiterhin die Ukraine unterstützen zu wollen, haben sich die Desinformationskampagnen nach Worten des Experten «nur noch verstärkt».
Vermeintlicher Kokainskandal
Bereits wenige Tage nach der Ernennung von Merz zum Bundeskanzler war mit einem Video im Netz das Gerücht verbreitet worden, der französische Präsident Emmanuel Macron habe bei seiner Reise mit Merz nach Kiew in seinem Zugabteil – als Journalisten für einen Bildtermin dazustießen – eine Tüte mit Koks vom Tisch genommen, um sie zu verstecken. Merz soll demnach seinerseits angeblich einen Löffel zum Konsum von Kokain versteckt haben.
Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Doch bei der angeblichen Droge im Clip handelte es sich lediglich um ein Taschentuch. Sogar der Élysée-Palast stellte das auf der Plattform X klar – und warnte vor der bewussten Manipulation der Bildsequenz. Auf hochauflösenden Aufnahmen war zu erkennen, dass es sich bei dem Gegenstand vor Merz um ein Rührstäbchen für ein Getränk oder einen kleinen Spieß für Häppchen handelt, nicht aber um einen Löffel.
Für ISD-Analyst Maristany de las Casas ist der Fall bemerkenswert. Denn «obwohl die Behauptung auf den ersten Blick nicht überzeugend wirkte, verbreitete sie sich dennoch schnell und massiv». Der Experte verweist dazu auf einen Beitrag auf X, der alleine 30 Millionen Aufrufe sammelte. Das beweise: Selbst absurde Behauptungen könnten auf große Resonanz stoßen.
Wer dahinterstecken könnte und was die Fakes bezwecken sollen
Als potenzielle Urheber dieser Fake News sieht ISD-Analyst Maristany de las Casas einerseits Kreml-nahe Akteure. Diese könnten das vehemente Eintreten von Merz etwa für mehr finanzielle und militärische Unterstützung der Ukraine als direkte Bedrohung empfinden. Andererseits zielen nach seinen Worten auch rechtsextreme Accounts auf Merz ab. Da gehe es beispielsweise um die Rolle der CDU in der Migrationsfrage und Merz’ Weigerung, eine Koalition mit der AfD einzugehen.
Auch die Bundesregierung beobachtet gezielte Desinformationskampagnen aus dem Ausland. Diese dienten dazu, das Vertrauen in staatliche Stellen zu untergraben sowie gesellschaftliche Konflikte zu vertiefen und somit offene und demokratische Gesellschaften zu destabilisieren, sagt der Regierungssprecher. So sieht das auch ISD-Analyst Maristany de las Casas: Die Urheber hätten das Ziel, bestehende und neu entstehende innerstaatliche Spaltungen bewusst zu verstärken und auszunutzen, um dadurch «das Vertrauen in demokratische Institutionen und Prozesse zu untergraben».
Kanzler Merz selbst nimmt die kursierenden Desinformationen nach Angaben des Regierungssprechers «sehr ernst». Unklar aber bleibt, wer genau hinter den neuen Kampagnen steckt.
Fake News von Ampel-Parteien auf CDU verlagert
Seit seiner Wahl sei Merz als Kanzler zum vorrangigen Ziel von Fake News geworden, beobachtet Maristany de las Casas. Auf der Plattform Tiktok würden ganze Accounts gezielt Desinformation über seine Politik verbreiten – oft mit Inhalten, die durch Künstliche Intelligenz (KI) erstellt wurden. Solche Accounts erreichten leicht mehrere Tausend Likes und Follower.
Da sie nicht mehr in der Regierung sind, scheinen die ehemaligen Köpfe der Ampel-Parteien bei den Urhebern von Falschinformationen kaum mehr als Zielscheibe zu dienen. Auch die Strategie der Verbreitung von Falschbehauptungen hat sich damit gewandelt. Merz wird bisher vorwiegend auf politischer Ebene attackiert. Die Grünen – mit ihrem damaligen Vizekanzler Robert Habeck (Missbrauchsvorwürfe als Beispiel) und vor allem Ex-Außenministerin Annalena Baerbock (angeblicher Gigolo) – wurden eher persönlich angegriffen.
Der Fokus von den gegen Baerbock und andere Frauen gerichteten Desinformationskampagnen unterschied sich nach Einschätzung des ISD-Analysten deutlich von jenen gegen Männer wie Merz oder Habeck: Sie zielten bei Frauen verstärkt auf geschlechtsspezifische Aspekte ab. Dabei ging es nach Worten von Maristany de las Casas um «Aussehen, Sexualität oder Privatleben».
dpa