Die großen Rechenzentren-Märkte rund um Frankfurt, London und Co. wachsen weiter. Zudem entstehen neue Hotspots in Südeuropa und den Nordics. Was IT-Entscheider bei der Standortwahl jetzt beachten sollten.
Der europäische Rechenzentren-Markt steht vor einem dynamischen Wachstum. Ein Indiz: Für die Aushängeschilder Frankfurt, London, Amsterdam, Paris und Dublin wird im kommenden Jahr ein Anstieg der Kapazitäten von 16 Prozent prognostiziert. Doch gleichzeitig suchen Investoren längst nach Alternativen. Der Grund ist einfach: In den Metropolen werden Grundstücke knapp und teuer, verfügbare Stromkontingente sind begrenzt.
Sekundärmärkte bieten günstigere Flächen und mehr Platz. Allerdings erfordern sie oft erhebliche Investitionen in die Infrastruktur – neue Umspannwerke, Glasfasernetze und Netzanschlüsse müssen zum Teil erst geschaffen werden. Trotzdem steigen die Investitionen in diese Regionen deutlich. Besonders in Südeuropa und den nordischen Ländern rechnen Branchenkenner für das nächste Jahr mit Kapazitätssteigerungen zwischen 30 und 55 Prozent.
Europas Rechenzentrumsmarkt im Ländercheck
Damit wird die Standortwahl zur strategischen Aufgabe und beginnt lange vor dem Grundstückskauf. Wer heute ein Rechenzentrum plant, muss früh mit allen Beteiligten ins Gespräch kommen. Regierungsstellen, Netzbetreiber, Investoren und lokale Gemeinden müssen an einen Tisch. Nur so lassen sich Genehmigungsprozesse beschleunigen und langfristige Partnerschaften aufbauen. Zugleich spielen standortspezifische Designanforderungen eine zentrale Rolle: Wenn ein Projekt auf Kühlwasser setzt, sind die nordischen Länder oder Portugal deutlich besser geeignet als wasserarme Regionen. Auch die verfügbare Fläche entscheidet: In dicht bebauten Städten wie London oder Paris setzen Betreiber zunehmend auf mehrstöckige Gebäude, um die Kapazität auf kompakter Fläche zu maximieren.
Ein Blick auf die wichtigsten Märkte zeigt, wie unterschiedlich die Rahmenbedingungen sind und welche Standortfaktoren wirklich den Ausschlag geben.
Deutschland: Frankfurt bleibt Interconnection-Knoten
Frankfurt ist und bleibt der zentrale Hub für latenzkritische Anwendungen in Europa. Der DE-CIX, Europas größter Internetknoten, verzeichnet Rekordwerte beim Datenaustausch. Doch Grundstücke und Kapazitäten in der Stadt werden zunehmend knapp. Deshalb weichen Betreiber ins Rhein-Main-Umland sowie nach Berlin und ins Rheinland aus.
Dadurch wächst der deutsche Markt robust: Die Colocation-IT-Last soll von 1,3 Gigawatt auf 3,3 Gigawatt bis 2029 steigen. 88 Prozent des genutzten Stroms stammen bereits aus erneuerbaren Quellen.
Frankreich: Planungssicherheit dank Kernenergie
Frankreich bietet eine überzeugende Kombination aus guter Infrastruktur und zuverlässiger Stromversorgung. 57 Reaktoren stellen insgesamt 63 Gigawatt CO₂-arme Energie bereit. Das sind stabile Rahmenbedingungen für energieintensive Workloads wie KI-Training und High-Performance-Computing. Der kohlenstoffarme Energiemix hilft Betreibern von Rechenzentren auch dabei, ESG-Ziele zu erreichen und indirekte Treibhausgasemissionen zu reduzieren.
Paris bleibt weiterhin Nachfrage-Magnet. Doch auch Marseille etabliert sich als wichtiger Knotenpunkt zwischen den Kontinenten. Bestes Beispiel dafür: Der Ausbau des Internetkabels MEDUSA, das kürzlich Marseille erreicht hat. Die neue, leistungsstarke Unterwasserleitung stärkt den Austausch zwischen Europa und Nordafrika.
Spanien: Aufstrebende Regionen
Während Madrid der etablierte Hub bleibt, entwickelt sich die Region Aragón, insbesondere Zaragoza, rasant zum Hotspot. Hier locken viel freie Fläche, gute Netzanschlüsse und eine durch KI getriebene Nachfrage. Für stromintensive Lasten liefern langfristige Stromabnahmeverträge aus erneuerbaren Energien die dringend benötigte Preisstabilität.
Zudem zieht Spanien, ebenso wie Portugal und Italien, Investitionen durch regulatorische Anreize, Steuervergünstigungen und niedrigere Grundstückskosten aktiv an.
Großbritannien: Regulierung schafft Stabilität
Das Vereinigte Königreich steuert den Ausbau systematisch über regulatorische Maßnahmen. Mit dem überarbeiteten National Planning Policy Framework von 2024 wurde etwa das Konzept des „Greybelt” eingeführt. Hier lohnt ein genauer Blick: In Greybelt-Bereichen ist unter strengen Auflagen eine begrenzte Bebauung in traditionell geschützten Grünzonen erlaubt. Im Gegensatz zu sogenannten “Greenbelt”-Bereichen, in denen Bauvorhaben zum Schutz der Natur eingeschränkt sind, schafft das neue Konzept ein Gleichgewicht zwischen Infrastrukturbedarf und Nachhaltigkeit.
Ein wichtiges Signal kam zudem im September 2024: Rechenzentren wurden als kritische nationale Infrastruktur eingestuft. Das bestätigt das Engagement Großbritanniens für die digitale Infrastruktur, die Grundlage für Wirtschaftswachstum, KI-Innovation und nationale Sicherheit ist. Die Einstufung schafft Vertrauen und gibt Impulse für die Branche, schnell zu wachsen und die steigende Nachfrage zu befriedigen.
Nordics im Fokus: Finnland und Schweden
Finnland setzt stark auf Nachhaltigkeit und KI. In Helsinki wachsen die Kapazitäten kontinuierlich, wobei Wärmerückgewinnung ins städtische Fernwärmenetz ein wichtiger Faktor ist. Das Rechenzentrum in Hamina ist dafür ein bekanntes Beispiel. Neue Standorte entstehen unter anderem in Espoo, Kirkkonummi und Kajaani. Das Ergebnis: hohe Energieeffizienz, natürliche Kühlung und eine gute CO₂-Bilanz.
Schweden baut seine Kapazitäten ebenfalls aus. In Falun soll beispielsweise ein Rechenzentrum bis Ende 2025 um 24 Megawatt erweitert werden, betrieben mit 100 Prozent erneuerbarer Energie. Stockholm bleibt ebenfalls attraktiv durch seine hohe Konnektivität.
Wichtige Erkenntnisse für die Standortstrategie
Der Länderüberblick zeigt: Im europäischen Rechenzentrumsmarkt tut sich viel. Die explosive Nachfrage nach mehr Rechenkapazitäten führt dazu, dass die Tier1-Standorte das Wachstum nicht mehr allein stemmen können. Dadurch entstehen neue Hotspots mit eigenen Rahmenbedingungen.
Für IT-Entscheider bedeutet das: Strategische Standortwahl und gründliche Due Diligence sind entscheidend für operative Stabilität, Kosteneffizienz und langfristiges Wachstum. Wer gesetzliche Anforderungen proaktiv berücksichtigt, zuverlässige Stromversorgung und Konnektivität sicherstellt und Umweltaspekte einbezieht, maximiert seine Kapitalrendite und erreicht die gesetzten Nachhaltigkeitsziele. In einer sich rasch wandelnden digitalen Landschaft ermöglicht ein vorausschauender, datengestützter Ansatz, Risiken zu bewältigen, Chancen zu nutzen und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu sichern.