Kommentar

Für 2020 droht agiles Theater

Die Projekte eignen sich nicht für agile Methoden? Die Firmenkultur ist noch nicht bereit? Mitarbeiter sind in der klassischen Softwareentwicklung besser aufgehoben? Egal! 2020 werden trotzdem viele Unternehmen auf Agilität umsteigen. Ein Kommentar von Nadine Riederer, CEO bei Avision.

Die Zeit der dauerboomenden Konjunktur in Deutschland scheint fürs erste vorbei zu sein. Der Druck auf Unternehmen, Kosten zu sparen, wird sich deshalb 2020 weiter erhöhen. Das wird auch dazu führen, dass viele von ihnen in der Softwareentwicklung auf Agilität umsteigen – ohne groß darüber nachzudenken. „Agil spart Geld“: So lautet ein weit verbreitetes Missverständnis; und es wird in vielen Abteilungen zu der Entscheidung führen, im neuen Jahr alles agil zu machen – zumal in so manchem Unternehmen ohnehin schon länger das Gefühl vorherrscht, bislang etwas verpasst zu haben. Da kommt ein Umstieg auf agile Methoden gerade recht, um sich fortan trendy und hip zu fühlen.

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Das ist in mehrfacher Hinsicht fatal. Erstens ist Geld sparen natürlich mitnichten das primäre Ziel von agilen Entwicklungsmethoden. Vielmehr geht es darum, die Zufriedenheit in den Teams durch mehr Selbstverantwortung zu erhöhen und nicht genau spezifizierte Ziele flexibler erfüllen zu können. Zweitens eignen sich nicht alle Projekte für Agilität. Man muss schon genau hinschauen und prüfen, bei welchem Projekt welches Vorgehen sinnvoll ist. Die so genannte Stacey-Matrix kann dabei helfen. Und drittens sind agile Methoden auch nicht das Nonplusultra für wirklich jeden Mitarbeiter. Einige von ihnen fühlen sich in klassischen Projekten mit hierarchischen Strukturen und weniger Selbstverantwortung einfach besser aufgehoben. Das ist keine Wertung, sondern eine Tatsache.

Aber egal: Viele Unternehmen werden aus den genannten Gründen 2020 trotzdem auf Agilität umsteigen. Obwohl die Firmenkultur den nötigen Wandel noch nicht vollzogen hat, wird den Projektteams Agilität einfach aufoktroyiert. Und das führt dann zu agilem Theater. Man tut einfach nur so als ob – und zwingt der schönen neuen agilen Welt weiterhin die alten Prozesse auf. Das zeigt sich dann beispielsweise darin, dass es auch weiterhin den klassischen übergreifenden Projektverantwortlichen mit Zugriff auf die Einzelressourcen gibt. Bei Problemen kommt dieser Projektleiter dann auch gerne mal vorbei und nimmt ein Mitglied des Projektteams zu einem klärenden Gespräch mit. Obwohl es ja eigentlich zu den Grundpfeilern von Agilität gehört, dass die Teams Probleme eigenverantwortlich intern aufarbeiten.

Außerdem droht der so genannte Cargo-Kult: Man will agil sein und versucht, die Vorgaben von agilen Projekten umzusetzen, allerdings ohne dabei den Sinn zu hinterfragen. Das Standup-Meeting ist für 9 Uhr angesetzt, wegen Schneefalls können aber nur drei von sieben Teammitgliedern teilnehmen? Es wird trotzdem abgehalten; und zwar einfach nur deshalb, weil es immer stattfinden soll. Der eigentliche Sinn hinter dieser Regelung ist aber natürlich, den Austausch der Teammitglieder zu fördern. Wenn die Hälfte des Teams nicht dabei ist, funktioniert das logischerweise nur suboptimal.

Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Agile Methoden haben ihre absolute Berechtigung und geeignete Projekte sollten auch unbedingt agil umgesetzt werden. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Und wenn die Entscheidung für Agilität fällt, müssen ihre Methoden auch konsequent und mit Sinn und Verstand angewendet werden. Sonst bleibt alles nur Theater. 

www.avision-it.de

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