Digitale Transformation: Zweigleisig zum Ziel

ZweigleisigDie Digitale Transformation stellt IT-Abteilungen und IT-Unternehmen vor Hürden, die sich nur zweigleisig überwinden lassen: Prof. Dr. Tobias Brückmann stellt deshalb in diesem Beitrag sowohl praktische Techniken zur Digitalisierung als auch Methoden zur agilen Organisationsentwicklung, insbesondere ein siebenstufiges Pyramidenmodell, vor.

Typische Herausforderungen für IT-Abteilungen und IT-Unternehmen

Die Digitalisierung, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2017. Und die digitale Transformation stellt Unternehmen immer noch vor teils große Hürden. Jene Zeiten, in denen sich Unternehmen für oder gegen die Digitalisierung Ihrer Geschäftsprozesse, Produkte und Dienstleistungen entscheiden durften, sind längst vorbei. Denn für sie ist die digitale Transformation keine Option mehr, sondern eine notwendige Überlebensstrategie auf dem globalen Markt der Vernetzung.

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Die erfolgreiche Überwindung dieser Hürden durch IT-Abteilungen und IT-Unternehmen muss in jedem Fall zweigleisig stattfinden. Denn zum einen bedarf es an neuen Technologien und zielführenden Techniken, um IT-Systeme entsprechend markt- und konkurrenzfähig sowie kundenorientiert einzuführen und anzupassen. Zum anderen muss auch eine gute Unternehmensorganisation angestrebt werden, um sich stets weiterentwickeln und unterm Strich flexibel agieren zu können. Erst durch den Ausbau beider Schienen sind Unternehmen nämlich erfahrungsgemäß in der Lage, tatsächlich innovativ zu sein und auf dem digitalisierten Markt mittel- und langfristig zu bestehen. Daher haben wir im Folgenden sowohl praktische Techniken zur Digitalisierung als auch Methoden zur agilen Organisationsentwicklung zusammengestellt, mit denen IT-Abteilungen und IT-Unternehmen Hürden auf dem Weg zur erfolgreichen Digitalisierung strukturiert überwinden können.

Praktische Techniken zur digitalen Transformation – Ein Überblick

Zur Analyse von Digitalisierungspotenzialen am Geschäftsmodell bietet sich das Business Model Canvas an. Im Wesentlichen besteht das Modell aus neun Schlüsselfaktoren: Schlüsselpartner, Schlüsselaktivitäten, Nutzenversprechen, Kundenbeziehungen, Schlüsselressourcen, Vertriebs- und Kommunikationskanäle, Kosten, Einnahmequellen. Dieses Modell wird zwar gerne insbesondere bei Neugründungen von Unternehmen angewandt, doch gerade bei der digitalen Transformation eines Unternehmens sollte diese Analysemethode der allererste Schritt in Richtung Digitalisierung sein. Es eignet sich bestens dafür, einzelne Schlüsselfaktoren eines digitalen Geschäftsmodells gezielt zu untersuchen, um so Chancen – aber auch Risiken – zu erkennen, zum Beispiel die Verbesserung der Kundenbeziehungen mithilfe digitaler Assistenten. Weitere sinnvolle Techniken sind:

  • Mithilfe von Use Case-Diagrammen konkrete Anwendungsfälle erarbeiten, um zu digitalisierende Aspekte klar zu definieren und deren Systemkontext einzugrenzen.
  • Objektmodelle erstellen, um herauszufinden, welche Geschäftsobjekte im Kontext des zu digitalisierenden Aspekts relevant sind.
  • Personas und Customer-Touchpoint-Maps erstelllen, um die Kundenperspektive zu analysieren.
  • GUI-Prototypen erstellen, um frühes Feedback zu digitalisierten Touchpoints zu erhalten.
  • Zu digitalisierende Fachliche Abläufe und Szenarios modellieren, um sie abzustimmen und zu dokumentieren
  • Techniken zur Analyse und Entwicklung von Web-APIs.
  • Techniken zur Spezifikation und Integration von Web-Services

Besonders die Techniken zur Analyse der Kundenperspektive verdient eine nähere Erläuterung, da selbst bestmöglich optimierte Geschäftsprozesse recht wenig nutzen, wenn dabei die „Digitalisierung des Konsumenten“ und seines Alltags außer Acht gelassen werden.

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Konkrete Techniken, um die Konsumenten zu verstehen

Das Analysieren und Verstehen der Konsumenten ist ein weiterer Erfolgsfaktor für digitale Transformation. Digitalisierung darf nicht einfach nur im Stillen innerhalb von IT-Abteilungen stattfinden, sondern muss dahingehend realisiert werden, dass der Konsument einen direkten Mehrwert davon hat und diesen auch deutlich erkennt.

Ein zentraler Begriff beim ganzheitlichen Erfassen des Konsumenten ist die User Experience (Abkürzung: UX). Die UX beschreibt alle wesentlichen Aspekte der Erfahrungen, die ein Konsument während seiner Interaktion mit einem Produkt, einer Dienstleistung oder einem Unternehmen sammelt. Kernfragen können beispielsweise sein: Wer ist überhaupt meine Zielgruppe? Welche (mobilen) Endgeräte sind relevant für meine Produkte und Dienstleistungen in Bezug auf diese Zielgruppe? In welcher Art und Weise müssen diese untereinander Vernetzt werden? Im Folgenden werden drei nützliche Techniken zur Erfassung und Optimierung der UX vorgestellt: Personas, Customer Journeys, Design Thinking.

Personas dienen einerseits dazu, sich in bestimmte Kundensegmente hineinzuversetzen, um sie detaillierter beschreiben zu können. Andererseits können sie dabei behilflich sein, Ordnung in ein unübersichtliches Kundenmodell zu bringen. Sie skizzieren einen fiktiven, idealtypischen Konsumenten, der ein bestimmtes Segment repräsentiert. Dabei erhalten diese Idealtypen konkrete Angaben, wie beispielsweise Namen, Alter, Beruf, Familienstand etc. Auch Metaangaben wie Bedürfnisse, Wünsche und Ziele werden in jedem Fall berücksichtigt, um einen möglichst authentischen Konsumenten zu entwerfen.

Customer Journeys (sinngemäß: Reise des Kunden) beschreiben den zeitlichen Verlauf der individuellen Erfahrungen einer bestimmten Konsumentengruppe an den verschiedenen Touchpoints mit dem Produkt, der Dienstleistung oder dem Unternehmen. Durch die Digitalisierung steigt die Anzahl dieser Berührungspunkte in signifikantem Maße, wodurch auch die Bedeutung einer Customer Journey an Bedeutung gewinnt.

Design Thinking ist eine strukturierte Methode zur Ideenfindung. Sie ist strikt auf die Identifikation und Befriedigung von tatsächlichen Konsumentenbedürfnissen ausgerichtet und kann dabei helfen, identifizierte Digitalisierungspotenziale zu Lösungsideen weiterzuentwickeln.

Eine gelungene Digitalisierung des Unternehmens ist mit der Technologietransformation und dem konsumentenorientierten Umdenken der IT-Abteilung noch nicht getan. Gerade in Hinblick auf das Personal und die Ablauforganisation sollte das Ziel unbedingt eine flexible Denk- und Arbeitsweise sein.

Unternehmenskultur und -organisation reloaded: konkrete Methoden zur Umstrukturierung

Die Schnelllebigkeit der digitalen Welt fordert von Unternehmen schnelle Innovationszyklen zusammen mit tiefgreifenden Änderungen etablierter Denk- und Handlungsmuster. Das Zauberwort lautet hier: Agilität. Sie müssen technologisch komplexe Systeme flexibel und agil betreiben und weiterentwickeln. Eine wesentliche Herausforderung für IT-Führungskräfte ist daher die kontinuierliche Entwicklung einer effektiven und flexiblen Prozessorganisation, die fachlich auf höchstem Niveau agiert und schnell die von ihr erwarteten Ergebnisse in hoher Qualität liefern kann. Mit Fleximity haben wir ein Framework entwickelt, mit dem sich IT-Abteilungen und IT-Unternehmen gezielt, pragmatisch und nachhaltig bei ihrer Entwicklung in Richtung Flexibilität ganzheitlich unterstützen lassen. Fleximity steht als Name für die individuelle und schrittweise Entwicklung von Flexibilität (Flexibility), bis deren gewünschte Reife (Maturity) erreicht wird. Dabei werden gezielt Aspekte der Organisations-, Personen- und Kulturentwicklung betrachtet, zu denen jeweils abteilungs- bzw. projektspezifische Entwicklungspfade identifiziert, implementiert und gesteuert werden.

Zur Veranschaulichung der agilitätsrelevanten Ebenen und deren Abhängigkeit untereinander hilft die Fleximity-Pyramide. Die Ebenen der Pyramide bauen dabei aufeinander auf. Wenn eine untere Ebene nicht stabil ist, wirkt sich das auf die Leistungserbringung aller oberen Ebenen aus. Eine wesentliche Stärke der Fleximity-Pyramide ist ihre Skalierbarkeit: Die Ausprägung der Fähigkeiten in den sieben Ebenen der Pyramide lässt sich sowohl auf der Ebene von Projektteams als auch für Abteilungen, Bereiche oder ganze Unternehmen analysieren. Sie kann daher von Projektleitern, Führungskräften in der Linie und dem Top-Management genutzt werden, um nachhaltige Agilität im gesamten Unternehmen zu erreichen.

Fleximity Pyramide

Bild 1: Fleximity-Pyramide.

Siebenstufige Fleximity-Pyramide auf dem Weg zur Agilität

Ebene 1:
Vereinbarungen müssen explizit getroffen und auch tatsächlich eingehalten werden. Explizit meint dabei, dass der Inhalt ausgesprochen werden muss und ihm auch zugestimmt werden muss. Auf diese Weise werden Situationen vermieden, in denen es heißt: „Ich dachte, du erledigst das.“ – Und keiner hat es getan.

Rückmeldungen beziehen sich auf verschiedene Inhalte. Wenn eine Vereinbarung sich nicht einhalten lässt, muss dies rechtzeitig angesprochen werden. Darüber hinaus müssen inhaltliche Rückmeldungen zur Verbesserung des Ergebnisses ausgesprochen und angenommen werden.

Pünktlichkeit bezeichnet einen verantwortungsvollen Umgang mit der Zeit. So sorgen beispielsweise die Vorbereitung auf Termine und das rechtzeitige Erscheinen zu einem Termin oder einem Workshop insgesamt für eine bessere Nutzung der Zeit.

Ebene 2:
Durch die Vereinbarung von definierten Ergebnissen und Ergebnistypen werden wesentliche Erwartungen der beteiligten Stakeholder geklärt. Ist im Voraus vereinbart, welche Resultate in welcher Form erwartet werden, lassen sich die Aktivitäten gezielt daraufhin ausrichten.

Ebene 3:
Rollen, Erwartungen und Verantwortung bilden die zweite Stufe der Organisationsqualifikation und kann ebenfalls gezielt entwickelt werden. Mit dieser Ebene wird innerhalb von Abteilungen sowie im gesamten Unternehmen ein effektives und strukturiertes Zusammenarbeiten ermöglicht.

Ebene 4:
Führung und Governance lässt sich als Schaltstelle der unteren Ebenen betrachten, darf aber nicht lediglich eine überwachende Funktion, sondern muss vielmehr eine Vorbildfunktion übernehmen.

Ebene 5:
Passung von Mitarbeiter und Rolle bildet die erste Stufe der individuellen Qualifikation. Abweichungen der Passung hinsichtlich der fachlichen Fähigkeiten können durch kurzfristige Qualifizierungsprogramme schnell ausgeräumt werden.

Ebene 6:
Methodenkompetenz bildet somit die zweite Stufe der individuellen Qualifikation. Der Ausbau von rollenspezifischen Methodenkompetenzen ist kurz- bis mittelfristig durch Qualifizierungsprogramme möglich.

Ebene 7:
Flexibilität ist das ultimative Ziel des synergetischen Zusammenspiels aller Ebenen.

Fazit

Allein durch die Einführung neuer Technologien und neuer IT-Systeme ist die Digitalisierung nicht vollbracht. Erst mithilfe einer ausgiebigen Geschäftsmodellanalyse und unter Einsatz von Techniken zur digitalen Transformation lässt sich der Schritt in Richtung einer mittel- und langfristig erfolgversprechenden Umgestaltung der Geschäftsprozesse setzen. Zudem sollte gleichzeitig eine Umstrukturierung der Unternehmensorganisation hin zur agilen und flexiblen Arbeitsweise angestrebt werden. Denn selbst die innovativsten Systeme müssen durch das gekonnte Zusammenspiel von IT-Experten nicht nur entwickelt, sondern auch insbesondere stetig weiterentwickelt und angepasst werden – und das möglichst schnell und effizient.

Tobias Brückmann
Prof. Dr. Tobias Brückmann

Als Hochschullehrer und Gründer arbeitet Prof. Dr. Tobias Brückmann kontinuierlich an der Professionalisierung und Optimierung von industriellen Softwareprozessen. Zum einen als Professor für das Fachgebiet Software Engineering in der Wirtschaftsinformatik an der Internationalen Hochschule Bad Honnef (IUBH). Zum anderen als Gründer der CampusLab GmbH, einem Spin-Off der Universität Duisburg-Essen, die mit ihren innovativen Veranstaltungen und dem Netzwerk aus Hochschulen und Industrie Know-How-Transfer auf höchstem fachlichen Niveau anbietet.
 

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