Deutsche Behörden stoßen zunehmend an ihre Grenzen. Ob in Jugendämtern oder Ausländerbehörden: Die Arbeitslast nimmt zu, Fachkräfte fehlen schon jetzt – und in naher Zukunft wird eine große Welle an Mitarbeitenden in den Ruhestand gehen.
Gleichzeitig gelingt es noch nicht, die Potenziale durch Bürokratieabbau und Digitalisierung zu heben. Das bisherige Scheitern des Online-Zugangsgesetzes (OZG) demonstriert, dass der große Wurf einer Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland umfassender gedacht und systematischer umgesetzt werden muss.
Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht nun vor, dies schneller voranzutreiben und dabei auf einen souveränen Deutschland-Stack zu setzen. Das ist auch sinnvoll, denn insbesondere Kommunen stehen unter enormem Druck. Auf ihnen liegt die Hauptlast der Digitalisierung, da sie den Großteil der Leistungen anbieten. An den häufig komplexen Abläufen sind allerdings viele Behörden und föderale Ebenen beteiligt, die ihre Daten jeweils lokal vorhalten. Eine echte Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Verwaltungsprozessen ist mit on-Premise-Lösungen jedoch nicht zu realisieren.
Cloudbasierte Register könnten hier Abhilfe schaffen. Eine europäische Cloud-Lösung, die Daten in zertifizierten deutschen Rechenzentren vorhält, wäre ideal. Sie könnte den sicheren Datenaustausch zwischen Behörden ermöglichen und gleichzeitig die digitale Souveränität wahren.
Um Verwaltungsprozesse resilient und nutzerfreundlich zu gestalten, ist zudem eine einheitliche digitale Identität für Bürger*innen erforderlich. Die Zustimmung des Bundeskabinetts zum Staatsvertrag für das Nationale Once-Only-Technical-System (NOOTS) war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer durchgängigen Digitalisierung der Verwaltung, nun müssen die nächsten Schritte folgen. Andere Länder sind hier schon deutlich weiter und bieten etwa eine Applikation für das Smartphone an, in dem die Anwendenden ihre behördlichen Anliegen sicher verwalten können. Das Once-Only-Prinzip, gekoppelt mit einem cloudbasierten Register, vermeidet beispielsweise Mehrfacherfassungen und kann Prozesse so deutlich beschleunigen.
Aus der Praxis: Gewerbeanmeldung
Betrachten wir einmal den konkreten Fall einer Gewerbeansiedlung. Angesichts von Gewerbeeinnahmen und dem Schaffen von Arbeitsplätzen spielt dieser eine wichtige Rolle für Kommunen. Von der Anfrage des (potenziellen) Gewerbetreibenden bis zur rechtmäßigen Inbetriebnahme des Gewerbes sind vielfältige Prozessschritte zu durchlaufen. Verfügbare Räumlichkeiten, Nutzungsprüfungen und Bauanträge sind dabei ebenso zu betrachten wie Gewerbeanmeldungen und Auskünfte anderer Behörden. Je nach Komplexität wirken zahlreiche Beteiligte mit, u.a.
- die (potenziellen) Gewerbetreibenden
- die Wirtschaftsförderung als mögliche Erst-Anlaufstelle
- die Stadtplanung/Bauordnung
- das Ordnungsamt
- das Steueramt
- die Vermieter*innen /Verkäufer*innen von Grundstücken oder Immobilien und
- das Finanzamt
- das Amtsgericht.
Die erforderlichen Stammdaten, Meldedaten, Finanzinformationen, Bau- bzw. Flächeninformationen sind verteilt und unterschiedlichen Behördenregistern zugeordnet. Die unterschiedlichen Stellen verwenden mitunter unterschiedliche Systeme und Aktenzeichen. Antragsstellende müssen hier mehrfach die gleichen Daten angeben, Dokumente einreichen und auf Bearbeitung warten – meist ohne Information zum Bearbeitungsstatus. Die Kommunikationswege sind intransparent oder Rückkanäle fehlen.
Eine durchgängige Ende-zu-Ende-Digitalisierung könnte diese Prozesse erheblich vereinfachen und so Behörden deutlich entlasten. Für die Antragstellenden würde sich die Planungssicherheit verbessern. Grundlegend hierfür sind eine einheitliche digitale Identität, cloudbasierte Register und orchestrierte Prozesse unter Einhaltung der Datenschutzanforderungen. Der Prozess der Gewerbeanmeldung könnte dann so aussehen:
- Ein*e Unternehmer*in authentifiziert sich einmalig.
- Er/Sie reicht die erforderlichen Dokumente digital ein, diese werden zentral gespeichert.
- Die zuständigen Behörden rufen automatisch die Stammdaten aus dem Register ab.
- Alle beteiligten Behörden greifen auf den gleichen Datensatz zu.
- Der Antragstellende kann den Bearbeitungsstatus jederzeit einsehen.
Das wäre für alle Beteiligten einfacher, schneller und transparenter.
Darum profitieren auch Bürger*innen von cloudbasierten Prozessen
Für Bürger*innen bedeutet die Umstellung auf cloudbasierte Ende-zu-Ende digitalisierte Verwaltungsprozesse vor allem eines: mehr Komfort und Sicherheit. Statt sich durch einen Behördendschungel kämpfen zu müssen, könnten sie Anträge und Anfragen über eine zentrale Plattform abwickeln. Eine abgesicherte Verwaltungscloud würde ihnen die sichere Speicherung und Weitergabe persönlicher Daten ohne mehrfaches Erfassen oder Einreichen ermöglichen.
Besonders deutlich zeigt sich der Nutzen an der Migration und Fachkräftesicherung. Neue Fachkräfte zu gewinnen, ist für zahlreiche Branchen unerlässlich – darunter etwa Handwerk und Gesundheitswesen – und bestimmt über die zukünftige Resilienz unseres Landes. Langsame Verfahren, hohe Arbeitslast bei den Behörden und fehlende Transparenz unterbinden jedoch eine wirksame Integration in Arbeit und Bildung. Kann eine Behörde eine begründete Niederlassungserlaubnis wegen langwieriger Prozesse nicht ausstellen, verlieren Arbeitgeber und Arbeitskräfte. Wenn Migration wegen postalisch versendeter Akten und nicht zusammenpassenden Aktenzeichen zu spät startet, verliert unsere Gesellschaft.
Diese behördlichen Prozesse sind komplex und dadurch störungsanfällig, gerade bei finanziellen Transaktionen. Die Social Card, die aktuell in 14 von 16 deutschen Bundesländern eingeführt werden soll, konnte hier bereits echte Erfolge verzeichnen. Sie ersetzt den monatlichen persönlichen Behördengang durch einen transparenten, automatisierten Prozess. Sachbearbeitende sehen alle relevanten Informationen sofort, während Berechtigte ihr Geld direkt auf die Karte erhalten. In Magdeburg sank der Verwaltungsaufwand dadurch um 90 Prozent. Der Vorteil für Bundesländer: Sie können unkompliziert ihre eigenen Vorgaben umsetzen.
Sicherheit geht vor
Der interoperable Einsatz von Cloud-Technologie in der Verwaltung birgt zweifellos großes Potenzial. Allerdings gilt es, bei entsprechend sensiblen Daten strenge Datenschutz- und Sicherheitsrichtlinien einzuhalten. Folgende Aspekte sind besonders wichtig:
- Datensouveränität: Die Datenhoheit muss stets gewährleitet sein. Daten sind in deutschen oder europäischen Rechenzentren zu speichern, um den Zugriff durch Drittstaaten auszuschließen.
- Verschlüsselung: Sowohl bei der Übertragung als auch bei der Speicherung der Daten müssen modernste Verschlüsselungstechnologien zum Einsatz kommen. Die Verarbeitung muss datenschutzkonform erfolgen.
- Zugriffsmanagement: Es muss klar geregelt sein, welche Behörde auf welche Daten zugreifen darf. Bürger*innen sollten zudem die Kontrolle über ihre persönlichen Informationen behalten.
- Ausfallsicherheit: Redundante Systeme und regelmäßige Backups müssen die Verfügbarkeit der Daten auch in Krisensituationen sicherstellen.
Digitale Resilienz stärken
Länder wie Estland oder die Niederlande zeigen, wie nutzerfreundlich digitale Verwaltung mittels einer zentralen Anwendung sein kann. Unser Ziel sollte sein, das Nutzen von Verwaltungsleistungen so einfach wie einen Online-Einkauf zu gestalten. Um das zu erreichen, brauchen wir eine ganzheitliche prozessorientierte Strategie, der über die bisherigen Ansätze in Deutschland hinausgeht. Dass das Once-Only-Prinzip mit NOOTS jetzt auf den Weg kommt, ist ein wichtiger Schritt. Nun gilt es, die Digitalisierung konsequent von den Bedürfnissen der Bürger*innen her zu denken und schrittweise umzusetzen.
Um mal eine Metapher zu bemühen: Das Haus Deutschland ist ein altes, zusammengewürfeltes Gebäude, das eine Kernsanierung benötigt. Abreißen ist unmöglich, wir müssen im laufenden Betrieb die wichtigsten Arbeiten vornehmen. Dabei sollten wir uns von der Idee der „Resilienzfäden“ leiten lassen – also die für das dauerhafte Funktionieren eines Systems entscheidenden Aspekte. In diesem Bild heißt das etwa, die Versorgung mit Wasser und Strom in bewohnten Zimmern auch dann sicherzustellen, wenn nebenan gerade jemand eine Wand einreißt. Und die Rohrleitungen – also die digitale Infrastruktur – einmal innerhalb des Hauses Deutschland und dann im Leitungsnetz der Gemeinde Europa sauber einzugliedern. Zudem müssen die unterschiedlichen Geschosse eines Hauses, also zum Beispiel Bundesländer oder Behörden, reibungslos miteinander zusammenarbeiten.
Jetzt brauchen wir einen umfassenden Bauplan für diese Sanierung, in dem wir festhalten:
- welche Prozesse durchgängig notwendig sind und wie wir diese im laufenden Betrieb modernisieren können,
- wie wir sicherstellen, dass diese Prozesse auch in Krisensituationen funktionieren
- wie wir es schaffen, die verschiedenen föderalen Ebenen für einen nahtlosen Informationsaustausch zu vernetzen
- und wie wir idealerweise das Ganze in eine europaweite Lösung integrieren.
Erfahrungsgemäß ist es hier sinnvoll, im Gegenstromverfahren zu agieren. Sprich: von den Bedürfnissen der kommunalen Ebene aus zu denken, auf Bundesebene das zentrale Grundgerüst sicherzustellen und über die Länder zu skalieren. Wenn es gelingt, eine sichere, nutzerfreundliche und effiziente Cloud-Infrastruktur für die öffentliche Verwaltung aufzubauen, wäre das ein großer Schritt für Deutschland in Richtung digitale Souveränität einerseits und nutzerfreundlicher Verwaltung andererseits. Es ist an der Zeit, diese Chance zu ergreifen und die Verwaltung fit für die Zukunft zu machen. Was Behörden davon haben? Weniger Papier, mehr Zeit, bessere Entscheidungen – und Menschen, die sagen: Das hat gut funktioniert.