Interview mit Dan Matthews, CTO bei IFS

Industrial AI: Warum ChatGPT allein nicht reicht 

Industrial AI

Dan Matthews ist Chief Technology Officer (CTO) bei IFS, einem Anbieter von Industrial AI und Enterprise-Software. Im Interview mit it-daily.net erklärt er, warum Industrial AI sich grundlegend von Consumer AI unterscheidet, welche Rolle Agenten in kritischen Infrastrukturen spielen können und warum Datenqualität entscheidend ist.

Herr Matthews, was unterscheidet Industrial AI von der Consumer-AI, die wir aus ChatGPT & Co. kennen? 

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Dan Matthews: Nehmen wir einmal das Beispiel Wartung: Wenn ich ChatGPT frage, welche PMs wir haben, dann meine ich damit Preventive Maintenance und nicht „Premierminister“ oder „Produktmanager“. Hier fehlt der industrielle Kontext. Man braucht das Verständnis für die industrielle Sprache, Zugriff auf Informationen, die oft nicht öffentlich verfügbar sind, zum Beispiel Wartungssysteme, technische Handbücher, Serviceanweisungen. Vor allem braucht man vollständige Nachverfolgbarkeit und Erklärbarkeit. Wenn die KI sagt, es ist okay, die Wartung eines Aufzugs um drei Wochen zu verschieben, will man wissen warum. Oberflächliche Antworten reichen nicht aus.

Welche KI-Technologien sind besonders relevant für die Industrie?

Dan Matthews: Es ist ein Mix aus allem. Historisch gesehen gab es schon lange KI in der Industrie. Denken Sie an Machine Learning für Predictive Maintenance. Was sich in den letzten Jahren wirklich geändert hat, ist die Generative KI. Sie eröffnet völlig neue Anwendungsfälle. KI kann plötzlich Dinge tun, die früher menschliche Eingaben erforderten, wie Dokumente lesen und entsprechende Maßnahmen ableiten.

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Der andere große Bereich sind Agenten. Wenn ein Lieferant per E-Mail meldet, dass sich eine Bestellung verzögert, muss normalerweise ein Mensch prüfen: Welche Kunden sind betroffen? Beeinflusst das unsere Lieferungen oder Produktion? Haben wir alternative Lieferanten? All diese Interaktionen können Agenten übernehmen.

Deshalb haben wir auch das Silicon Valley Startup “TheLoops” übernommen. Sie haben eine Agenten-Plattform entwickelt, die sehr gut für Industrial AI geeignet ist und die wichtigen Eigenschaften für industrielle Umgebungen mitbringt. 

Wie weit verbreitet ist denn Agentic AI derzeit in der Industrie?

Dan Matthews: Es steht noch ganz am Anfang. Zunächst hat jeder irreführenderweise seinen Chatbot zum “Agenten” umbenannt. Wenn wir von Agenten sprechen, meinen wir mehrere Layers: aufgabenfokussierte Agenten für E-Mails oder Systemaktionen, aber auch koordinierende Agenten auf höherer Ebene. Das wird wirklich interessant. Hier können Prozesse vollständig autonom ablaufen, wobei Menschen nur noch bei Entscheidungen einbezogen werden. Das ist noch nicht sehr verbreitet, aber wir sehen enormes Potenzial.

Ist Agentic AI nicht riskant, besonders in kritischen Infrastrukturen?

Dan Matthews: Das hängt vom Anwendungsfall ab. In regulierten Bereichen wie Luftfahrt oder Verteidigung wird es noch lange dauern, bis man keine menschliche Bestätigung mehr braucht, etwa bei der Freigabe eines Flugzeugs als flugtauglich. Aber man kommt sehr weit mit agentischem Verhalten.

Nehmen Sie einen Fehlerbericht: Jemand meldet eine Korrosion an einem Transformator. Heute wird das eingestuft, jemand schaut es an und plant einen entsprechenden Außendienst. Warum sollte das nicht ein Agent machen können? Er kann die Aktivität planen, Ersatzteile bestellen und basierend auf dem Technikbericht weitere Arbeitsaufträge erstellen.

Können Sie auch ein reales Beispiel aus Erfahrungen mit Kunden nennen?

Dan Matthews: Wir haben ein System mit einem Kunden entwickelt, der schwimmende Hotels für Offshore-Projekte betreibt. Sie führen etwa 50 Inspektionen pro Monat durch und bekommen Berichte mit Befunden zurück. Normalerweise muss ein Mensch diese Berichte durchgehen und entsprechende Maßnahmen im System anlegen.

[An dieser Stelle führt Matthews eine Live-Demonstration des Systems vor] 

Sie sehen: Ich ziehe einfach den Inspektionsbericht rein, die KI liest ihn und schlägt Arbeitsaufträge vor. Als Mensch kann ich mit der KI interagieren. Ich kann ihr sagen, dass wir für bestimmte Bereiche andere Pläne haben. Wenn ich zufrieden bin, werden die Aufträge erstellt. Das spart mindestens drei bis vier Stunden pro Bericht.

Ist das der Heilige Gral gegen den Fachkräftemangel?

Dan Matthews: Teilweise ja. Der größte Fachkräftemangel besteht bei praktischen Tätigkeiten – Leute, die Strommasten oder Windräder hinaufklettern. Hier hilft KI, indem sie zum Beispiel vorhersagt, welche Ersatzteile benötigt werden, oder die Gerätehistorie für Techniker zusammenfasst. Dieselben 100 oder 1000 Leute können mehr schaffen, wenn wir ihnen bei der Vorbereitung helfen. Aber ersetzen kann man sie nicht. Zumindest noch nicht heute oder morgen. Langfristig könnte man sich humanoide Roboter vorstellen, die Strommasten hinaufsteigen, aber das ist noch Zukunftsmusik.

Welche Rolle spielt Datenqualität?

Dan Matthews: Eine sehr große, und nicht nur Datenqualität, sondern auch die Existenz von Daten an sich. Glücklicherweise können wir auf hochwertige Datenquellen zugreifen. Technische Handbücher mit tausenden Seiten sind meist sehr akkurat. Wir kombinieren diese mit Wartungshistorien und anderen Systemdaten.

Aber manchmal haben Sie gar keine brauchbaren Trainingsdaten. Beispiel: Wir wollten eine KI entwickeln, die vorhersagt, ob Abrechnungen korrekt sind. Aber im System stehen nur genehmigte Ausgaben – abgelehnte werden korrigiert und dann genehmigt. Wie soll die KI lernen, was abzulehnen ist, wenn sie nur positive Beispiele sieht? Deshalb ändern wir manchmal die zugrundeliegenden Systeme wie etwa HR-Software, um mehr verwertbare Daten zu sammeln.

Nutzen Sie nur firmeninterne Daten oder auch externe Quellen?

Dan Matthews: Wir kombinieren mehrere Quellen: Etablierte Large Language Models, die auf Internet-Inhalten trainiert wurden, Dokumente aus dem Document Management. Meist sind das Handbücher und technische Dokumentation sowie die eigentlichen operativen und transaktionalen Daten aus der Anwendung.

Wenn Sie fragen “Ist diese Windturbine in gutem Zustand?”, schaut das System auf die Asset-Health-Daten, liest das Handbuch für die Definition von “gutem Zustand”, sucht möglicherweise zusätzliche Informationen und kombiniert alles zu einer Antwort.

Welche Trends sehen Sie für die nächsten fünf Jahre in der Industrial AI?

Dan Matthews: Drei große Trends: Erstens Agenten auf höherem Level. Zweitens – und das ist kritisch – Governance, Nachverfolgbarkeit und Vertrauen. Die Leute werden realisieren und fragen: “Wie kann ich dem vertrauen?” In industriellen Anwendungen brauchen wir erklärbare KI, nicht nur eine Magic Black Box, die heute eine Antwort gibt und morgen bei derselben Frage eine andere.

Drittens: Business-to-Business-Interaktionen zwischen Maschinen. Gartner nennt es “Machine Customers”. Auf der Consumer-Seite wird es kommen, dass Alexa automatisch bei Amazon einkauft. Im Business-Bereich bin ich noch skeptisch, ob wir bereit sind, Agenten finanzielle Entscheidungen für unser Unternehmen treffen zu lassen. 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Matthews.

Dan Matthews

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