Künstliche Intelligenz verspricht Produktivitätsschübe, neue Geschäftsmodelle und tiefgreifende Effizienzgewinne. Doch in der Praxis bleibt der Durchbruch aus. 95 Prozent aller Pilotprojekte zu generativer KI scheitern, zeigt eine MIT-Studie.
Nur ein Bruchteil der Unternehmen, die KI einsetzen, erreichen messbares Umsatzwachstum. Die Technologie ist ausgereift, was fehlt ist der richtige Ansatz zur Integration.
Besonders in deutschen Unternehmen klafft eine Lücke zwischen Anspruch und Realität. Vorstände sprechen zwar immer wieder von der KI-Revolution, doch die Umsetzung stockt. Das kostet Zeit, Geld und Wettbewerbsfähigkeit.
Thuy-Ngan Trinh, Managing Director der Digitalberatung A11, kennt diese Herausforderungen. Mit über zehn Jahren Erfahrung im Aufbau der größten europäischen Unicorns wie Trade Republic oder Sennder hat sie erlebt, was funktioniert und was nicht. Ihre Erkenntnis: Erfolgreiche KI-Integration folgt klaren Mustern, die sich in fünf konkreten Schritten umsetzen lassen.
1. Lead by Example: Wenn Führung KI vorlebt
Wenn es um den Einsatz von KI geht, schauen Teams zuerst auf die Führungsebene. Werden Tools tatsächlich genutzt? Wird experimentiert oder nur in PowerPoint-Präsentationen darüber gesprochen? Wer glaubhaft vorangehen will, sollte mit gutem Beispiel starten. Etwa durch KI-basierte Terminplanung, E-Mail-Auswertung oder Textanalysen. Der Effekt: Wenn Geschäftsführer*innen und Bereichsleitungen selbst mit KI arbeiten und sichtbar Zeit sparen, entsteht ein gesunder FOMO-Effekt („Fear of Missing Out”) im Team. Neben Schulungspräsentationen lernen Mitarbeitende so, wie KI bei Ihrem Unternehmen praktisch funktionieren kann.
Dabei geht es nicht darum, alle Manager*innen zu Tech-Experten zu machen, sondern authentisch zu zeigen: KI ist keine Bedrohung. Führungskräfte, die offen über ihre eigenen Lernkurven sprechen, Erfahrungen weiter- und Fehler zugeben, schaffen eine Atmosphäre, in der Experimentieren erlaubt ist.
2. Ideen mit System priorisieren
KI-Projekte scheitern in der Anfangsphase oft an der Überforderung: zu viele Ideen, zu wenig Struktur. Die Kunst liegt darin, sinnvoll zu priorisieren. Nicht jede technisch mögliche Automatisierung macht für jedes Unternehmen wirtschaftlich Sinn. Hier hilft eine strukturierte Bewertungsmatrix entlang drei Dimensionen: Wertbeitrag, Umsetzbarkeit und Datenreife. Daraus entstehen drei Kategorien:
- Quick Wins: Sofort realisierbare Automatisierungen, etwa im Reporting oder in der Terminplanung.
- Mittelfristige Projekte: Anwendungsfälle mit gutem Potenzial, die jedoch bessere Datenstrukturen oder Prozesse voraussetzen.
- Langfristige Innovationsfelder: Neue Geschäftsmodelle oder personalisierte Services, deren Umsetzung mehr Zeit und Kulturwandel braucht.
Diese Kategorisierung schafft Klarheit und verhindert, dass Unternehmen sich in Prestigeprojekten verlieren, während einfache Verbesserungen auf der Strecke bleiben. Sie macht transparent, warum manche Projekte sofort starten und andere später folgen. Die Priorisierungsmatrix wird zum lebenden Dokument, das regelmäßig aktualisiert wird. Denn mit jedem erfolgreichen Projekt wächst die Kompetenz und neue Möglichkeiten werden sichtbar.
3. Prozessanalyse als Startpunkt
Bevor neue Software eingeführt oder ein „KI-Team“ gegründet wird, braucht es eine realistische Analyse des Status-Quo: Welche Prozesse sind langsam, ineffizient oder fehleranfällig? Wo gibt es Redundanzen, Medienbrüche oder wiederkehrende Tätigkeiten, die automatisierbar wären?
Die Analyse sollte systematisch erfolgen und sowohl Quick Wins als auch langfristige Potenziale aufzeigen. Sofort umsetzbare Automatisierungen, etwa wöchentliche Reportings oder Terminkoordination, schaffen Akzeptanz. Gleichzeitig wird sichtbar, wo Grundlagenarbeit nötig ist, etwa bei verstreuten Daten oder fehlender Dokumentation.
Die Erfahrung zeigt: Ein externer Blick ist dabei fast immer wertvoller als die interne Perspektive. Was für Mitarbeitende normal erscheint, offenbart sich externen Berater*innen oft als enormes Optimierungspotenzial. Eine neutrale Prozessanalyse deckt versteckte Ineffizienzen auf und hinterfragt gewohnte Abläufe.
4. Sprints statt Großprojekte
Der Schlüssel liegt in kurzen Sprints von vier bis acht Wochen: Was innerhalb weniger Wochen umgesetzt werden kann, bringt schnell messbaren ROI und steigert die Akzeptanz im Unternehmen. Ein typischer Sprint könnte in drei Phasen unterteilt werden: Konzept & Datenvorbereitung (1-2 Wochen), Implementierung & Tests (3-4 Wochen), Rollout & Schulung (5-6 Wochen).
Wichtig ist dabei die Skalierbarkeit: Was im Kleinen funktioniert, wird gezielt ausgebaut. Was sich als untauglich erweist, wird frühzeitig beendet. Diese Klarheit beschleunigt nicht nur den Fortschritt, sondern verhindert auch Ressourcenbindung in Projekte ohne echten Mehrwert. Was sich als untauglich erweist, wird frühzeitig beendet. Diese „Fail-Fast“-Mentalität ist für viele deutsche Unternehmen ungewohnt, aber essentiell für erfolgreiche Innovation.
Der Sprint-Ansatz erzeugt auch psychologische Effekte: Teams sehen schnell Fortschritte, Erfolge werden gefeiert, und die abstrakte „KI-Transformation“ wird zu konkreten, greifbaren Verbesserungen im Arbeitsalltag.
5. KI-Organisation statt KI-Teams
Eine der größten Herausforderungen in der KI-Integration ist die Vermeidung von Silos. Es reicht nicht, ein „KI-Team“ aufzubauen, das für den Rest des Unternehmens operiert. Ebenso geht es nicht darum, dass alle Mitarbeitenden Data Scientists werden, sondern um AI-Literacy. Bedeutet: zu verstehen, was KI kann, wie man damit arbeitet und den eigenen Job weiterentwickelt. So sollten Sales-Teams wissen, wie KI-Leads qualifiziert werden, und HR-Abteilungen, wie sie Bewerbungen effizienter screenen können.
Das Ziel sind AI-driven Business Units: Abteilungen, in denen Mitarbeitende nicht auf externe Impulse warten, sondern selbst Ideen entwickeln, testen und in die Umsetzung bringen. Dafür braucht es keine neuen Titel, sondern Neugier, Weiterbildung und Raum für Experimente.
Der Weg nach vorn: Kultur schlägt Technologie
Neben den fünf Schritten braucht es drei strukturelle Grundlagen: Erstens, eine offene Lernkultur, in der Fehler erlaubt sind, solange sie analysierbar bleiben. Zweitens, eine technologieoffene Mitarbeiterschaft, in der bestehende Rollen weiterentwickelt werden, statt neue Titel zu schaffen. Denn Unternehmen brauchen Menschen, die Lust auf Automatisierung und Weiterbildung haben, keine „Chief Prompt Engineers”. Und drittens, frühzeitige Investitionen in Datenqualität und -governance, da viele KI-Ideen an uneinheitlichen Daten scheitern.
Von Grund auf haben die meisten Unternehmen das Potenzial von KI erkannt, doch nur wenige schaffen die Transformation. Letztendlich entscheiden strukturiertes Vorgehen und kulturelle Offenheit über eine erfolgreiche Integration, nicht der technologische Vorsprung. Wer heute startet, muss keine perfekten Projekte umsetzen, aber bereit sein zu lernen und sichtbar voranzugehen. Die Technologie ist verfügbar, jetzt liegt es an jedem einzelnen Unternehmen, den ersten Schritt zu machen.