Ratingagenturen spielen eine zentrale Rolle im globalen Finanzsystem – nicht nur bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Stabilität von Unternehmen, sondern auch indirekt bei der Steuerung von Führungsverhalten.
Eine Studie der Bangor University legt nun offen, dass Kreditratings eine weitreichendere Wirkung haben, als bisher angenommen: Sie wirken sich direkt auf die Entscheidungsfreude von Topmanagern aus – insbesondere bei riskanten Unternehmensübernahmen (via Pressetext).
Selbstüberschätzung unter Kontrolle
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Beobachtung, dass vor allem übermäßig selbstsichere CEOs ihr Verhalten ändern, wenn die Kreditwürdigkeit ihres Unternehmens auf dem Spiel steht. Die Studie stützt sich auf Daten von 916 US-amerikanischen Unternehmen, die zwischen 2006 und 2019 von der Ratingagentur S&P bewertet wurden.
“Unsere Untersuchung zeigt, dass selbst übermäßig selbstbewusste Geschäftsführer eher zweimal überlegen, bevor sie riskante Übernahmen tätigen, wenn Unternehmen eine Herabstufung ihrer Bonität riskieren”, erklärt Shee-Yee Khoo, Dozentin für Finanzwesen an der Bangor Business School.
Dieses Verhalten ist nachvollziehbar: Eine schlechtere Bewertung kann den Zugang zu günstigen Krediten erschweren – ein Risiko, das selbst selbstbewusste Führungskräfte nicht leichtfertig eingehen. Kreditratings wirken damit nicht nur als Spiegel der finanziellen Lage, sondern haben auch eine disziplinierende Wirkung auf strategische Entscheidungen.
Die Macht der Bonitätsnote
Besonders deutlich zeigt sich dieser Effekt bei Akquisitionen. CEOs mit starkem Selbstvertrauen neigen dazu, aggressiver zu expandieren, wenn das Kreditrating steigt und sich dadurch Finanzierungskosten senken. Doch droht eine Herabstufung – vor allem von “Investment Grade” zu “Speculative Grade” – schalten diese Manager zurück.
Die Studie beziffert den Effekt: In Unternehmen, die von selbstüberschätzten Führungskräften geleitet wurden, sank die Wahrscheinlichkeit für Übernahmen um 15,7 Prozentpunkte, wenn eine Herabstufung der Bonität drohte – im Vergleich zu Unternehmen unter rational agierenden Managern.
Diese Ergebnisse werfen ein differenziertes Licht auf die Rolle des Selbstvertrauens in der Unternehmensführung. “Übermäßiges Selbstvertrauen der Führung ist ein zweischneidiges Schwert”, kommentiert Patrycja Klusak von der Edinburgh Business School. „Einerseits können mutige Entscheidungen von Führungskräften zu visionären Strategien führen und Innovationen vorantreiben. Andererseits führt unkontrolliertes Selbstvertrauen oft zu Fehlentscheidungen, Fehlinvestitionen und langfristiger Wertevernichtung.“
Mehr als nur Zahlen
Die Studie macht deutlich: Ratingagenturen beeinflussen Unternehmen nicht allein durch ihre Bewertungen. Sie schaffen einen Rahmen, in dem Führungskräfte ihre Risikobereitschaft überdenken – vor allem dann, wenn die Konsequenzen für die Unternehmensfinanzierung spürbar wären. So fungieren Kreditratings als stille Regulatoren, die nicht nur Märkte, sondern auch das Verhalten in Vorstandsetagen steuern können.