2025 stand für Europas IT besonders im Zeichen der digitalen Souveränität.
Der Studie „State of Digital Sovereignty 2025“ von Myra Security zufolge wünschen sich 84,4 Prozent der IT-Entscheidenden für Staat und KRITIS ein klares Bekenntnis zu europäischen Digitalprodukten, nutzen aber in der Praxis deutlich seltener europäische Cloud-Dienste – die Abhängigkeit von US-Anbietern bleibt hoch. Zugleich haben größere Ausfälle globaler Cloud- und CDN-Plattformen wie Azure, AWS und Cloudflare gezeigt, wie groß der Ausfall ist, wenn sich der digitale Borkenkäfer durch Monokulturen frisst.
Für 2026 zeichnen sich ebenfalls bereits Risikofelder ab. Das kommende Jahr wird sowohl die politische als auch gesellschaftliche Resilienz Europas in mehrfacher Hinsicht herausfordern. Der Wunsch der EU nach mehr digitaler Souveränität ist manchen ein Dorn im Auge und wird unter enormen geopolitischen Druck geraten. Gleichzeitig werden die anstehenden Wahlen in zahlreichen europäischen Ländern zum Ziel externer Einflussnahme durch ein ungleiches Duo aus den USA und Russland. Und natürlich wird auch das Thema künstliche Intelligenz (KI) IT-Sicherheitsverantwortliche mit neuen Angriffsvektoren über Agentic AI weiter auf Trab halten.
1. Digitale Souveränität unter Druck
Die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA beschreibt Europa als „Kontinent im Niedergang“ und zeichnet die Europäische Union als Problemfall mit Einschränkungen der Meinungsfreiheit und demokratischen Defiziten. Zugleich werden europäische Digitalgesetze wie der Digital Services Act und der Digital Markets Act (DMA) offen als Eingriffe in amerikanische Geschäftsmodelle gerahmt.
Der US-amerikanische Handelsminister Howard Lutnick wirft Brüssel vor, der Digital Services Act diene dazu, „freie Meinungsäußerung und amerikanische Technologieunternehmen zu unterdrücken“. Und US-Außenminister Marco Rubio bezeichnete die 120-Millionen-Euro-Strafe gegen Elon Musks Social-Media-Plattform X als „Angriff auf alle amerikanischen Technologieplattformen und das amerikanische Volk durch ausländische Regierungen“ – verbunden mit der Kampfansage: „Die Tage, in denen Amerikaner im Internet zensiert werden, sind vorbei.“
Diese Rhetorik fällt in eine Lage, in der zentrale europäische Dienste – von Cloud über SaaS bis hin zu Kommunikationsplattformen – stark von US-Anbietern dominiert werden. Für 2026 ist daher zu erwarten, dass digitale Abhängigkeiten stärker politisiert werden: durch Preiserhöhungen, restriktivere Vertragskonditionen, handelspolitische Maßnahmen oder gezielte Einschränkungen einzelner Dienste. Lutnick hatte ja bereits ausgesprochen, dass Europa seine Vorschriften für große US-Tech-Unternehmen überdenken sollte, wenn es niedrigere US-Zölle auf seine Stahl- und Aluminiumexporte erreichen will. Die Gefahr, dass die USA ihre technologische Dominanz als politischen und wirtschaftlichen Hebel einsetzen könnte, wird nochmals drastisch steigen. Microsoft hat bereits Preisaufschläge – je nach Abonnement – zwischen fünf und 33 Prozent angekündigt, die ab Juli 2026 gelten sollen.
Klar ist deshalb: Je einseitiger Verwaltungen, KRITIS-Betreiber und Unternehmen auf wenige außereuropäische Plattformen setzen, desto gravierender werden die Auswirkungen in Form von Risiken für die technologische Verfügbarkeit, die Geschäftsfähigkeit und die Organisation als Ganzes sein.
2. Wahlen als Ziel geopolitischer Einflussnahme
Schon in der Vergangenheit waren Wahlen in Europa Ziel von Cyberangriffen, Desinformationskampagnen und Leaks – oftmals mit mutmaßlich russischem Hintergrund. DDoS-Kampagnen rund um die österreichische Nationalratswahl oder die Europawahl 2024 haben gezeigt, wie stark Partei- und Behördenseiten zu diesen Zeiten im Fokus von Kriminellen oder staatlich unterstützten Akteuren stehen.
Die neue US-Sicherheitsstrategie verschärft die Lage, weil sie ausdrücklich ankündigt, „Widerstand“ gegen den aktuellen Kurs der europäischen Regierungen zu „kultivieren“ und den Aufstieg „patriotischer Parteien“ als hoffnungsvoll bewertet. Parallel dazu stilisieren US-Politiker und Elon Musk die DSA-Strafe gegen X zum Beleg einer angeblich zensurfreudigen EU – ein Narrativ, das von Stimmen wie dem russischen Putin-Hardliner Dmitrij Medwedjew gerne aufgegriffen und verstärkt wird.
Für 2026 ist daher wahrscheinlich, dass nationale Wahlen in der EU, außer durch die zu erwartenden Cyberangriffe, noch stärker von außen flankiert werden – vor allem über die sozialen Medien. Denn wer was in den sozialen Medien zu sehen bekommt, bestimmen Algorithmen. Liegt die Macht über diese Algorithmen in einem Land, das den Widerstand gegen den aktuellen Kurs europäischer Regierungen kultivieren will, ist es wahrscheinlich, dass besonders EU-kritische Parteien davon profitieren werden. Das Risiko durch koordinierte Desinformationskampagnen auf Plattformen wie X, algorithmisch verstärkter Unterstützung und klassische Cyberoperationen gegen Parteien, Medien und Wahlinfrastruktur ist hoch. Ob diese Einflussnahme tatsächlich Wahlausgänge kippt, hängt von vielen Faktoren ab. Sicher ist aber: Die digitale Resilienz von Regierungen, Medienhäusern und von EU-Bürgern wird 2026 einen Härtetest durchlaufen.
3. Neue KI-Angriffsvektoren
KI-gestützte Werkzeuge halten zunehmend Einzug in operative und entwicklungsnahe Umgebungen – im Browserkontext inzwischen direkt auf den Desktops von Admins und Entwicklern. Agentic-AI-Systeme agieren dabei halb- oder vollautonom und erhalten über Protokolle wie das Model Context Protocol (MCP) oftmals weitreichende Zugriffsrechte auf interne Tools, Datenquellen und APIs. Hierdurch entsteht ein neuer, zu großen Teilen noch ungeregelter Angriffsraum, der bei vielen noch gar nicht auf dem Radar ist:
- Indirect Prompt Injection kann dazu führen, dass Agents versteckte Anweisungen aus Webinhalten ausführen und Daten exfiltrieren oder ungewollte Aktionen triggern.
- KI-Browsererweiterungen und Sidebars können als „Schatten-KI“ sensible Informationen aus unterschiedlichen Webanwendungen zusammenführen und außerhalb klassischer Sicherheitskontrollen verarbeiten.
- Über MCP-Integrationen drohen überprivilegierte Agents, die sich durch Fehlkonfiguration oder kompromittierte Credentials lateral durch Systeme bewegen.
Es ist also mehr als wahrscheinlich, dass im kommenden Jahr spezifische Exploits für diese Angriffsvektoren zunehmen – von präparierten Webseiten über bösartige Dokumente bis hin zu manipulierten Artefakten in der Software-Supply-Chain. Wie gravierend die Folgen werden, hängt davon ab, ob Unternehmen AI-Agents als neue kritische Komponente mitdenken: mit klaren Berechtigungsgrenzen, Monitoring und einer realistischen Bedrohungsanalyse.
Fazit
Europäische IT-Sicherheit hängt – unabhängig vom Kalenderjahr – an drei Faktoren: politischem Willen, gezielten Investitionen und einer Sicherheitskultur, die digitale Abhängigkeiten und neue Angriffsflächen ernst nimmt. Wer jetzt die eigene Souveränität vorantreibt, kritische IT-Infrastrukturen härtet und AI-Agents kontrolliert einführt, entscheidet damit nicht nur über die technische Resilienz seiner Systeme, sondern auch darüber, wie selbstbewusst Europa im digitalen Raum agieren kann.
Autor: Christof Klaus, Director Global Network Defense bei Myra Security,