Erfolgreiche ERP-Systeme?: Der Aufbau verlässlicher Daten – Hürde und Bürde

680 1Effizienter arbeiten – das versprechen ERP-Systeme. Aber woran misst der Anwender Effizienz und vor allem die Effizienzsteigerung? Woher weiß der Anwender, dass die ERP-Investition zu einem wirtschaftlichen Erfolg führt oder geführt hat?

Wenn man eine neue Maschine anschafft, kann mit Hilfe von Leistungsdaten die Leistungsfähigkeit zwischen alter und neuer Maschine verglichen werden. Wie aber findet der Anwender einen Weg, einen Leistungsvergleich zwischen Alt- und Neu-System, zwischen alter und neuer Organisation anzustellen? Diese Frage wird häufig gestellt, aber selten verfolgt. Die Wirtschaftlichkeit von ERP-Systemen bleibt nur allzu oft im Dunklen, sie wird vor der Geschäftsleitung verschleiert, die Kosten werden schön gerechnet, die Güte der ERP-Lösung wird übertrieben dargestellt. Oftmals wird das ERP-System als lästige und geldgierige Chimäre angesehen, die notwendigerweise am Leben zu erhalten ist. Es wäre wünschenswert, wenn der Nachweis des wirtschaftlichen Erfolgs eines ERP-Systems als Projektbestandteil von Systemauswahl und -inbetriebnahme angesehen würde. Gerade die Neuinvestition verpflichtet den Durchführenden, auf einer validen Wertebasis die Umstellung auf das neue System und seinen späteren Betrieb zu rechtfertigen. Kann überhaupt der wirtschaftliche Erfolg eines ERP-Systems nachgewiesen werden? Diese Frage ist grundsätzlich zu bejahen, aber dazu bedarf es einer Projektaufgabe, sich die entsprechende Datenbasis aufzubauen und nachhaltig zu pflegen.

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Sind Kosten wirtschaftlicher Erfolg?

Wirtschaftlichkeit eines ERP-Systems lässt sich sicherlich durch dessen Lizenz-, Wartungs- und Administrationskosten ausweisen, dies ist aber nur eine vordergründige Wirtschaftlichkeit, die unmittelbar in den IT-Kostenarten der Kostenrechnung ablesbar ist. Wenn die Anwendung nicht die Unterstützung bietet, die ein Unternehmen erwartet und benötigt, helfen die geringe(re)n System- und Administrationskosten nicht weiter. Kosten sind kein wirtschaftlicher Erfolg. Also kann mit dieser Betrachtung der wirtschaftliche Erfolg eines Systems nicht nachgewiesen werden. Wenn die Arbeitsweise mit dem System umständlich, schwerfällig, wenig performant, hochkomplex ist, sodass es eher als Last empfunden wird, mit ihm zu arbeiten, als dass es Spaß bereitet und die Anwender umfangreich unterstützt, erhöhen sich obendrein die Prozesskosten. Die Nutzung des Systems wird seiner möglichen Leistungsfähigkeit nicht entsprechen. Wer sich mit dem System und seinen Mängeln arrangiert, wird kein Interesse mehr an der Betrachtung eines wirtschaftlichen Einsatzes aufbringen. Haben sich die Mitarbeiter erst einmal mit dem System und seinen Reglementierungen arrangiert, erlahmt das Engagement, das System voranzutreiben. Um den Status Quo einer Anwendung abzustecken und zu bewerten, sind die Datenmodelle und die Datenqualität im ERP-System sowie die verfügbaren Tools (Funktionalität, Datenrecherche, Auswertungen) zu betrachten.

Welche Vorsorge ist zu treffen?

Ein ERP-System ist für seinen Einsatz bewertbar zu machen; dabei geht es um Systemeigenschaften und verfügbare Prozessdaten. Alle reden von Prozessualität und der Notwendigkeit, in Prozessen zu denken und zu handeln. Aber sind in den ERP-Systemen Prozessdaten vorhanden? (Die Prozessunterstützung soll hier nicht berücksichtigt werden.) Dazu müssen die ERP-Systeme natürlich entsprechende Datenkonstellationen in ihren Datenmodellen sowie Operationen und Funktionen zur Versorgung dieser Felder oder auch Ergebnistabellen anbieten. Wenige Fragen sollen die Beurteilung des wirtschaftlichen Einsatzes eines ERP-Systems skizzieren:

Ist nachweisbar, ob der aktuelle Bestand im Lager oder in der Fertigung bezogen auf die Auftragslage angemessen ist?

  • Ist die mittlere Durchlaufzeit einer Kundenanfrage bis zum versandbereiten Angebot bekannt?
  • Wie sieht es mit der Einhaltung der Durchlaufzeiten-Baugruppe oder den Wiederbeschaffungszeiten von Kaufteilen aus?
  • Existiert eine tagesaktuelle oder monatliche Deckungsbeitragsrechnung?
  • Ist der Verlust bekannt, der sich durch nicht wahrgenommene Skonti ergibt?

Falls diese Fragen bejaht werden sollten, muss sich der Anwender die Frage nach der Verlässlichkeit dieser Daten stellen. Es ist natürlich ein Ergebnis der ERP-System-Auswahl, die das Unternehmen zu verantworten hat, wenn Auswertungen, Statistiken und Daten in dem installierten ERP-System nicht zur Verfügung stehen, um auf dieser Ausgangsbasis Wirtschaftlichkeit nachzuweisen. Hierzu bedarf es der oben genannten Prozessdaten. In der Regel weisen Verkaufsberater und Präsentatoren nicht darauf hin, dass ein Unternehmen selbst Vorsorge treffen sollte, den Einsatz eines neuen Systems bzw. den Umstieg auf ein neues System bewertbar zu machen. Vielleicht liegt dies daran, dass durch eine erfolgreiche Messbarkeit das ERP-System in seinen Schwächen und Stärken viel zu offensichtlich durchleuchtet wird. Nur zu gern wird seitens der Hersteller darauf verwiesen, dass dies derart individuelle Daten seien, die mit dem zusätzlich zu lizensierenden Business-Intelligence-Tool „hervorragend“ gelöst werden können. Damit stehlen sich die Hersteller aus der Verantwortung. Aber wie soll in Vertragsverhandlungen über Ziele, die ein ERP-System in der Realisierung unterstützen soll, gesprochen werden, wenn das Unternehmen nicht aufzeigen kann, aus welcher (vielleicht komfortablen) Ausgangssituation auf ein neues System gewechselt wird?

Systemwechsel

Dem System-Lieferanten muss aufgezeigt werden, dass die Inbetriebnahme auf einem nachvollziehbar bewerteten Status Quo beginnt, der mit dem neuen System fortgeführt werden soll und von dem aus Monate später Verbesserungen (sogenannte Benefits) eintreten sollen. Hier geht es um Mitverantwortung des System-Lieferanten, realistische Ziele mit dem System zu erreichen. Dem Unternehmen hilft nicht zu fordern, dass zum Beispiel die Vorgangsbearbeitung generell um 20 Prozent beschleunigt werden soll, wenn es nicht weiß, von welchem Status Quo aus gemessen werden soll. Der Status Quo hat allerdings zu einem signifikanten Anteil mit Datenqualität zu tun: ohne Datenqualität – keine verlässlichen Messwerte. Datenqualität ist kein Ergebnis und kein Zustand, was von allein zustande kommt, vor allem kann sich Datenqualität nicht durch ein neues System automatisch etablieren. Die Anwender müssen sich permanent um die nachhaltige Erhaltung der erreichten Qualitätsstufen, aber vor allem natürlich um die kontinuierliche Erhöhung der Qualität bemühen. Ein Unternehmen muss eine „Datenqualitätskultur“ entwickeln und einrichten.

Prozessdaten, Messwerte und Zeitreihen

Um Ziele mit dem ERP-System zu erreichen, sind Strategien erforderlich, und die Strategien benötigen eine Datenbasis, anhand derer sie entwickelt als auch positive und negative Tendenzen erkannt werden können. Das Datenmaterial muss Ursache und Wirkung abbilden; wer zum Beispiel seinen Lagerbestand bei gleichbleibender oder besserer Liefertermintreue reduzieren will, muss nicht nur den Lagerbestand kennen, sondern auch die ABC-Entwicklung, die Wirkung der Dispositionsverfahren, die Genauigkeit der Wiederbeschaffungszeiten für Eigen- und Fremdteile usw. Die Liste enthält Anregungen und beansprucht keine Allgemeingültigkeit; aus jeder Anwendungslösung heraus ist dies zu definieren (P = Prozessdaten, S = Statistikwerte (Zeitreihen)):

Vertrieb

  • Durchlaufzeit eines Kundenangebots (P)
  • Einhaltung der Kundenlieferterminwünsche (P)
  • Auftragseingangs- und Auftragsbestands-Rechnung (S)
  • Umsatzentwicklung (S)

Einkauf

  • Abweichung der Wiederbeschaffungszeiten von den Lieferantenlieferzeiten (P)
  • Bestell-Obligo (S)

Fertigung

  • Ermittlung der Durchlaufzeit-Baugruppe (S)
  • Abweichung der Durchlaufzeiten in Fertigungsaufträgen vom realen Fertigungsdurchlauf (P)
  • Produktionskosten (S)

Materialwirtschaft

  • ABC-Analysen für Lagerbestand, Artikelverbrauch und –bedarf (S)

Bewertung

  • Preisentwicklung (S)
  • Lagerbestand (S)
  • Fertigungsauftragsbestand – WIP (S)

Controlling

  • Deckungsbeitragsrechnung (S)
  • Betriebsleistung (S)

Diese Prozess- und Statistikdaten bzw. Auswertungen sind notwendig, damit sich ein Unternehmen überhaupt erst einmal mit der Verfolgung von Zielen befassen kann. Wie sonst kann die Frage beantwortet werden, ob die Organisation besser als zuvor dasteht oder wie sie sich entwickelt? Der qualitativ ausgedrückte Schein trügt nur allzu oft; in der heutigen Zeit reicht es nicht mehr aus, aus dem Bauchgefühl heraus die ERP-Lösung zu bewerten. Hat ein Unternehmen sich erst einmal eine Basis geschaffen, lassen sich leicht durch Modifikationen der Datenzusammenstellungen neue Auswertungsinhalte kreieren; die Betriebsleistung stellt hier ein sehr gutes Beispiel dar.

Die typischen Ziele in ERP-Anwendungslösungen

Zur Erlangung einer größeren Effizienz der Unternehmensorganisation werden beispielhaft häufig folgende Ziele benannt; sie orientieren sich an Prozessen oder beinhalten pfiffige Funktionen mit entsprechender Datenwelt:

  • Senkung des Lagerbestands
  • Senkung von Durchlaufzeiten der Eigenteile
  • Erhöhung der Lieferfähigkeit und Verbesserung der Kundenlieferterminerfüllung
  • Beschleunigung von Arbeitsabläufen
  • Verbesserung der Planungsqualität
  • Detaillierte prozessorientierte Kalkulationen mit Stufeninformationen
  • Detaillierte, validierbare Statistiken

Wenn Anwender ihr System dahingehend untersuchen, inwieweit derartige Ziele in ihrer Verfolgung durch den sogenannten Standard unterstützt werden, werden sie feststellen, dass vielleicht einige der vorgenannten Punkte partiell in der Anwendungslösung vorzufinden sind. Ein Großteil wird nicht annäherungsweise realisiert vorliegen.

Schlussfolgerungen

Wirtschaftlichkeit ist Thema in der ERP-System-Auswahl; die Diskussion hierzu gipfelt in Anforderungen an Funktionalität und Datenwelt des jeweiligen Systems. Es ist darauf zu achten, dass gerade die für ein Unternehmen wesentlichen Auswertungen oder Statistiken in der ERP-Lösung vorbereitet sind. Das Problem in den Auswahlverfahren besteht darin, dass auf „Wirtschaftlichkeit“ außerhalb der Lizenz-, Wartungs- und Administrationskosten kein Fokus gerichtet ist, weder in den Anforderungskatalogen noch in den Präsentationen. Die Hersteller verweisen gern darauf, dass Analysen und Ergebnisdarstellungen zur Wirtschaftlichkeit der Anwendung mit einem BI-Tool gelöst werden müssen, weil jedes Unternehmen seine eigenen Schwerpunkte setzt. Aber die durch Unternehmen selbst initiierte Realisierung scheitert nicht selten allein an nicht bereitgestellten, systemimmanent versorgten Datenelementen. Insofern müssten die Unternehmen vielfach umfangreiche Datenaufbereitungsprogramme realisieren. Dazu wiederum müssten aber die Hersteller in den Funktionen definierte, vorbereitete User Exits zur Verfügung stellen, mit denen das Unternehmen Prozessdaten in einer eigenen Systemumgebung bearbeiten und abspeichern kann. Wenn der Aufwand hierfür betrachtet wird und die erforderlichen Systemkenntnisse berücksichtigt werden, gehören diese Anforderungen eindeutig in den Lösungsansatz des jeweiligen Systems (sogenannter Standard), wie eben die Ermittlung von Prozessdaten, die an den ERP-Vorgängen wie Angebot, Auftrag, Bestellung usw. hängen. Die ERP-Hersteller stehen hier in der Verantwortung, einem Unternehmen die Möglichkeit zu eröffnen, den Einsatz ihrer Systeme zu bewerten, inwieweit sich die geplanten Ziele wirklich erreichen lassen oder später erreicht werden. Nur so lässt sich der erfolgreiche Einsatz eines ERP-Systems nachweisen.

Dr. Christian E. Riethmüller

Diesen Artikel finden Sie auch in der it management Ausgabe 7/8 – 2013.

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