Gehirnwäsche im digitalen Zeitalter

Social Media – Wie moderne Technologien unsere Gedanken beeinflussen

Gehirnwaesche

Die Vorstellung von Gehirnwäsche wirkt oft wie ein Überbleibsel aus der Ära des Kalten Krieges – verbunden mit politischen Umerziehungsprogrammen oder autoritären Regimen.

Doch laut der Kulturwissenschaftlerin Rebecca Lemov von der Harvard University ist die gezielte Manipulation von Gedanken heute lebendiger denn je – nur tritt sie in neuen, digitalen Gewändern auf (via Pressetext).

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Vom Schock zur Desorientierung

Moderne Gehirnwäsche beginnt nicht mit Gewalt oder Gefangenschaft, sondern subtiler – mit einem psychologischen Entwurzelungsprozess. Digitale Umgebungen wie soziale Netzwerke, KI-gestützte Chatbots und die sogenannte Kryptokultur schaffen laut Lemov emotionale Bindungen, die eng mit Kontrolle und Überredung verknüpft sind.

Ein besonders typisches Phänomen ist das sogenannte “Doomscrolling”: das endlose Konsumieren negativer Nachrichten, das zu einer Überforderung durch gezielt ausgespielte Inhalte führt. Die Folge ist eine Desorientierung, bei der Nutzer den Bezug zu einer neutralen Informationslage verlieren. Dieser Zustand ähnelt den klassischen Methoden mentaler Beeinflussung – mit dem Unterschied, dass der Zugang freiwillig erfolgt.

Kontrolle durch Mikroumgebungen

Ein zentrales Element dieser digitalen Beeinflussung ist die sogenannte Milieukontrolle: Nutzer bewegen sich in digitalen Räumen, in denen sie Informationen nur aus bestimmten, oft algorithmisch ausgewählten Quellen erhalten. Die Vielfalt der Perspektiven schrumpft – was das Weltbild formt, ohne dass es bewusst geschieht.

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Lemov warnt, dass gerade die präzise Abstimmung digitaler Inhalte auf individuelle Profile problematisch ist. KI-basierte Systeme analysieren Daten aus dem Netz, um maßgeschneiderte emotionale Reaktionen hervorzurufen. Chatbots oder personalisierte Empfehlungen sprechen tief liegende psychologische Muster an – oft unbemerkt und über lange Zeiträume hinweg.

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Emotion statt Überzeugung

Ein weitverbreiteter Irrtum ist die Annahme, Gehirnwäsche funktioniere auf rein kognitiver Ebene – etwa durch das Ersetzen von Überzeugungen. Doch laut Lemov zielt moderne Beeinflussung viel stärker auf emotionale Verwundbarkeit. Unverarbeitete Erlebnisse oder unterdrückte Gefühle werden zur Angriffsfläche. Genau diese tiefliegenden Emotionen werden von digitalen Systemen angesprochen – subtil, aber wirkungsvoll.

Beunruhigend: Intellekt oder Bildung bieten keinen Schutz. “Selbst Menschen, die sich als kritisch und medienkompetent betrachten, sind nicht gefeit”, betont Lemov. Denn Beeinflussung, die auf emotionaler Ebene wirkt, unterläuft rationale Abwehrmechanismen.

Eine neue Form der Manipulation

Was früher als Gehirnwäsche durch Regime oder Sekten galt, findet heute in der digitalen Alltagswelt statt – mit neuen Werkzeugen, aber ähnlicher Wirkung. Rebecca Lemov macht deutlich: Es ist an der Zeit, Beeinflussung nicht nur in klassischen Machtkontexten zu suchen, sondern auch in der scheinbar harmlosen Nutzung von Technologie.

Pauline Dornig

Pauline

Dornig

Online-Redakteurin

IT Verlag GmbH

Pauline Dornig verstärkt seit Mai 2020 das Team des IT Verlags als Online-Redakteurin. (pd)
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