Großes Öko-Update für Krypto-System Ethereum – mit Risiken

Kryptowährungssysteme wie Bitcoin und Ethereum verbrauchen Unmengen von Strom, weil sie auf einem energiehungrigen Absicherungsverfahren aufbauen. Nun wagt zumindest die Ethereum-Community einen Umstieg auf ein umweltfreundliches System. «The Merge» ist aber riskant.

«Super-Crash», «Krypto-Winter», «Milliarden-Werte vernichtet»: Die aktuellen Schlagzeilen zur Kryptowährungsbranche in diesem Jahr verbreiten unter den Investoren schlechte Stimmung. Doch nicht nur die sinkenden Kurse für Bitcoin und Ether, der Währung der Ethereum-Blockchain, sorgen für Kopfschmerzen. Angesichts der drohenden Klima-Katastrophe und der allgemeinen Energieknappheit wird der riesige Strombedarf für den Unterhalt der beiden wichtigsten Kryptosysteme von der Politik und Umweltaktivisten immer entschiedener in Frage gestellt.

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Zumindest für Ethereum ist aber eine drastische Öko-Wende in greifbarer Nähe. Voraussichtlich am kommenden Dienstag (6. September), wird die letzte Stufe des Umstellungsprozesses «The Merge» eingeleitet, mit dem der Strombedarf der Ethereum-Blockchain um 99,95 Prozent gesenkt werden soll. Möglich wird dies durch einen Austausch des sogenannten Konsensfindungssystems, das beispielsweise verhindert, dass eine Krypto-Münze mehrfach ausgegeben werden kann. «The Merge» wäre das bisher größte Upgrade einer Blockchain in der Kryptowelt.

Die Ethereum-Blockchain ist eine öffentlich einsehbare Datenbank, die Informationen und Transaktionen auf kryptografisch sichere Weise speichert und verifiziert. Ether ist die Kryptowährung, die über die Ethereum-Blockchain getauscht wird. Sie steht in der Kryptowelt hinter dem Bitcoin an zweiter Stelle, was den Gesamtwert angeht.

Im Gegensatz zur Bitcoin-Blockchain können bei Ethereum nicht nur virtuelle Werte gespeichert und übertragen werden. Ethereum-Erfinder Vitalik Buterin wollte 2013 ein System schaffen, das komplexere Formen des Austausches ermöglich, etwa das Leihen und Verleihen von Kryptogeld. Ethereum bildet aber auch das technische Rückgrat für den Austausch von digitalen Sammlerstücken, die als Non-fungible Token (NFT) bekannt sind.

Bitcoin und Ethereum stehen vor der Herausforderung, Transaktionen auf der Blockchain fälschungssicher zu validieren. Bislang wird bei diesen Systemen das Verfahren «Proof of Work» eingesetzt. Dabei müssen komplizierte kryptografische Rätsel gelöst werden. Wer das Rätsel zuerst knackt, darf den nächsten Eintrag in die Blockchain schreiben und erhält dafür eine Belohnung in Form von Ether beziehungsweise Bitcoin. Dieser Vorgang wird auch «Mining» genannt, weil dadurch neue Krypto-Münzen «geschürft» werden.

Beim «Mining» konkurrieren viele Akteure untereinander, aber nur einer kommt letztlich zum Zuge. Das ist der eigentliche Grund, warum bei diesem Verfahren so viel Strom verbraucht wird. Schätzungen des Krypto-Experten Alex de Vries zufolge verbraucht allein die Ethereum-Blockchain bislang so viel Strom wie Österreich.

Buterin hatte bereits 2014 überlegt, ob es nicht besser sei, auf das Verfahren «Proof of Stake» (PoS) umzusteigen, das extrem viel weniger Strom verbraucht. Dabei zahlen Krypto-Investoren eine bestimmte Anzahl digitaler Münzen ein, um an einer Art Lotterie teilzunehmen. Jedes Mal, wenn eine Transaktion validiert werden muss, wird ein Teilnehmer («Staker») aus dem Lostopf ausgewählt, um den Austausch zu verifizieren und neue Münzen als Belohnung zu erhalten.

In der Krypto-Szene ist der Schwenk nicht unumstritten. Vor allem die Bitcoin-Befürworter halten «Proof of Stake» für ungerecht, weil letztlich nur die Besitzer von großen Coin-Beständen von dem Verfahren profitieren würden. Unter den PoS-Kritiker sind aber auch besonders viele «Miner», die große Summen in ihre Rechenzentren zum Schürfen von Bitcoin und Ether investiert haben. Sie haben handfeste Eigeninteressen, um einen Wechsel abzulehnen.

Manche Experten befürchten aber auch, dass der komplexe Umstieg technisch scheitern könnte. «Die Umstellung der Ethereum-Blockchain ist eine große technologische Herausforderung und vergleichbar mit der Umstellung eines Dieselautos auf Elektromotor bei laufender Fahrt», sagt Peter Grosskopf, Mitbegründer der Solarisbank.

Der Berliner Unternehmer Grosskopf erwartet bei einer erfolgreichen Umsetzung des Mammut-Projektes aber einen positiven Effekt auf die gesamte Branche. «Die Umstellung bringt eine radikale Energieersparnis.» Damit werde die zweitgrößte Blockchain attraktiver für Investoren, die ihre Anlagen nach den Nachhaltigkeitskriterien (ESG) auswählen. «Mehr noch. Auf der Ethereum-Technologie lassen sich nun Finanztransaktionen global mit minimalem Energieverbrauch verarbeiten.» Sie könnte ein Treiber für weitere Einsparungen werden, wenn sie Tausende Rechenzentren von Banken ersetze.

Zwei wichtige Probleme wird «The Merge» aber nicht lösen. Zum einen gibt es derzeit beim Validieren der Transaktionen immer wieder große Zeitverzögerungen, weil die Kapazitäten des Systems nicht mit dem Ansturm Schritt halten können. Damit verbunden ist das zweite Problem: Die hohe Netzwerkauslastung mit vielen Transaktionen treiben immer wieder die Transaktionsgebühren («Gas-Fees») in schwindelerregende Höhen. Das führte beispielsweise bei etlichen digitalen Kunstauktionen dazu, dass die Ausführungsgebühren viel höher lagen als der Preis für das NFT selbst. «The Merge» wird nicht die Staus auflösen, noch die hohen «Gas-Fees» senken. Das soll weiteren Updates vorbehalten bleiben, die bis 2023 über die Bühne gehen sollen.

Für Investoren, die bereits Ether-Coins besitzen, ändert sich durch «The Merge» zunächst nicht viel. Allerdings werden der Handel sowie die Ein- und Auszahlungen von Ether während der Umstellung als Vorsichtsmaßnahme auf Plattformen wie Coinbase oder Bison für ein paar Stunden ausgesetzt werden.

Da noch nicht klar ist, ob die Ethereum-Gemeinde sich dem Umstieg komplett anschließen wird, kann es die Tage danach unübersichtlich werden. Denkbar ist, dass manche PoS-Verweigerer den Umstieg nicht mitmachen wollen und sich von der offiziellen Ethereum-Blockchain abspalten. Die Tauschplattform Bison von der Börse Stuttgart warnt ihre Kunden bereits vor möglichen Betrügern, die die Situation ausnutzen und beispielsweise Coins zum Kauf anbieten, die gar nicht existieren.

Von Christoph Dernbach, dpa

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