Das große „Aber“

Virtual Reality – (K)Ein rechtsfreier Raum?

VR-Recht

Virtual Reality („VR“) im Sinne dieses Beitrags meint eine vollständig computergenerierte Simulation einer dreidimensionalen Umgebung. Mit dieser virtuellen Umgebung können Nutzer (das nötige Equipment vorausgesetzt) frei interagieren.

VR-Welten wie das Metaverse ermöglichen es Nutzern, grafische visuelle Repräsentationen ihrer selbst, sogenannte Avatare, zu erstellen. Auch können Nutzer digitale Güter (z.B. Kunst, Kleidung, Accessoires, virtuelle Immobilien o.ä.) erstellen, kaufen oder verkaufen sowie virtuelle Dienstleistungen anbieten (z.B. künstlerische Darstellungen, Bildungsangebote, Beratungsleistungen). 

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Im Zusammenspiel mit Non-Fungible Token, kurz NFT, können auch digitale Vermögenswerte (digitale Kunstwerke, virtuelle Immobilien o.ä.) zu individualisierbaren Einzelstücken oder in ihrer Auflage limitiert werden. Dies ermöglicht auch im virtuellen Raum Exklusivität und eine damit einhergehende Wertschöpfung. Avatare können mittels Gesichtserkennungssoftware individualisiert sein und den jeweiligen Nutzer im virtuellen Raum – für Dritte (wieder)erkennbar – repräsentieren.

Die damit einhergehenden Möglichkeiten erscheinen für Hersteller von Produkten und Inhalten, für kreative Köpfe, aber auch für prominente Individuen (oder solche, die es werden wollen), endlos. Doch bevor man sich aufmacht, diese „neue Welt“ zu erobern, stellt sich die Frage nach Rechtssicherheit. 

Wie steht es in der virtuellen Welt um (gewerbliche) Schutzrechte? Kann ich meine immateriellen Vermögenswerte auch in der VR schützen? Muss ich dort die Rechtspositionen anderer respektieren? Oder bewegen wir uns in der VR im rechtsfreien Raum?

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Modernisierung des EU-Designrechts:

Die Thematik erhält eine gewisse Dynamik, weil im Mai 2025 die ersten Änderungen des EU-Designrechtspaketes in Kraft getreten sind. Bis Ende 2027 sind die EU-Mitgliedstaaten gehalten, die Vorgaben des EU-Designrechtspaketes auch in nationales Recht umzusetzen. Der EU-Gesetzgeber hat das Designrecht modernisiert und an die Bedürfnisse des digitalen Zeitalters angepasst. Ein besonderer Fokus lag hierbei auf dynamischen, digitalen Designs (wie sie bei virtuellen Objekten vorkommen).

Künftig fallen unter den Schutz definitiv auch Bewegungen, Zustandsänderungen oder andere Arten der Animation von Erzeugnissen. Damit ist klargestellt, dass auch rein digitale, dynamische oder fließende Darstellungen und Erzeugnisse (unabhängig von einer physischen Verkörperung) geschützt werden können, etwa Objekte in Computerspielen oder sonstigen virtuellen Räumen, virtuelle CAD- oder NFT-Objekte.

Das Designrecht vermittelt – virtuell wie analog – Schutz für eingetragene Designs, die durch Anmeldung beim zuständigen europäischen oder nationalen Amt entstehen. Auf gesamteuropäischer Ebene kann außerdem Schutz für nicht eingetragene Unionsdesigns entstehen. Letztere haben eine deutlich kürzere Schutzdauer (drei Jahre) und unterliegen einigen Einschränkungen. Sie eignen sich eher für Branchen mit kurzen Produktionszyklen (etwa „Fast Fashion“) oder als „Notlösung“, wenn der Rechteinhaber versäumt hat, ein Design anzumelden. Die Schutzvoraussetzungen sind für eingetragene und nicht eingetragene Designs einheitlich: Sie müssen im jeweils relevanten Zeitpunkt (Anmeldung bzw. erstmalige Offenbarung) neu und eigenartig sein (sich also von vorbekannten Gestaltungen abheben).

Doch wie ist es mit anderen (gewerblichen) Schutzrechten? Benötigt es insoweit auch Klarstellungen? Oder ist die Rechtslage klar?

Markenrecht:

Markenschutz beschränkt sich nicht nur auf die physische Welt, sondern erstreckt sich im Grundsatz auch auf virtuelle Räume. Markeninhaber müssen jedoch beachten, dass sie den Schutz auch auf virtuelle Waren erstrecken und ihr Waren-/Dienstleistungsverzeichnis von Beginn an umfassend genug formulieren. Ggf. müssen Ergänzungsmarken in das Markenportfolio aufgenommen werden, um den Schutz auf die VR zu erstrecken.

Im Rahmen etwaiger Markenverletzungsstreitigkeiten mit Bezug zu virtuellen Räumen bzw. virtuellen Waren/Dienstleistungen wird es – wenn Markenschutz für virtuelle Waren fehlt – entscheidend darauf ankommen, ob die virtuellen Waren den physischen Waren ähnlich (genug) sind, um eine Verwechslungsgefahr zu verursachen. Dienen eine virtuelle Süßigkeit und eine physische Süßigkeit demselben Verwendungszweck? Wie ist dies bei T-Shirts zu beurteilen?

Bei Dienstleistungen stellt sich dieses Problem hingegen eher nicht. Auch bei (im Inland) bekannten Marken kommt es nicht auf die Verwechslungsgefahr an. Hier spielt aber eine Rolle, aus welchen Motiven heraus ein Dritter die bekannte Marke nutzt. Will er vom Ruhm und Goodwill der Marke profitieren? In einem ersten Fall zu dieser Thematik entschied der District Court of New York, dass ein Künstler, der virtuelle Abbildungen der berühmten Hermès Birkin-Bag als NFT veräußerte, die Markenrechte der Firma verletzt.

Das Markenrecht erfasst grundsätzlich auch die VR. Rechteinhaber sollten jedoch den Schutzumfang ihrer Marken prüfen und bestenfalls auch virtuelle Versionen ihrer Waren schützen lassen.

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Urheberrecht:

Die Urheberrechte anderer Personen sind im virtuellen Raum ebenso zu respektieren wie in der physischen Welt. Die VR bringt keine Besonderheiten zum nicht-virtuellen Raum. Tonfolgen/Musik, Fotos, Bewegtbilder, Texte, Zeichnungen, Pläne o.ä. sind zugunsten der Rechteinhaber geschützt, wenn sie jeweils „persönliche geistige Schöpfungen“ darstellen, also im Vergleich mit existenten Werken etwas Neuartiges und Eigentümliches darstellen. Dies kann etwa für die Gestaltung von Avataren gelten (wenn diese kreativ gestaltet und nicht auf Basis einer real existierenden Person erstellt worden sind).

Dritte haben im Grundsatz kein Recht, urheberrechtlich geschützte Materialien zu vervielfältigen, öffentlich wiederzugeben o.ä., wenn der Berechtigte ihnen kein Nutzungsrecht eingeräumt hat. Auch insoweit ist die VR nicht rechtsfrei.

Lauterkeitsrecht:

Dasselbe gilt für das Lauterkeitsrecht und die gesetzlichen Vorgaben zu fairem (= lauterem) Verhalten im Wettbewerb. Marktteilnehmer haben auch in der VR darauf zu achten, dass sie sich gegenüber Mitbewerbern, Verbrauchern und anderen Marktteilnehmern lauterkeitsrechtlich einwandfrei verhalten.

Irreführungen, Herabsetzungen, Behinderungstatbestände und Belästigungen sind auch im virtuellen Raum unzulässig und im Grundsatz von Mitbewerbern oder Verbraucher-/Branchen-Verbänden verfolgbar. Es entstehen mit Metaverse und Co. zwar neue Wirtschaftsräume; hier gelten aber im Ausgangspunkt dieselben Spielregeln wie in der analogen Welt.

Persönlichkeitsrechte:

Auch in der VR agieren natürliche und juristische Personen. Daher haben Nutzer auch die Persönlichkeitsrechte anderer zu respektieren. Es ist auch in der VR grundsätzlich untersagt, sich den Namen eines anderen anzumaßen, Bildnisse einer anderen Person ohne Einwilligung zu verbreiten oder öffentlich zur Schau zu stellen, oder sich über Dritte in beleidigender, persönlichkeitsrechtsverletzender Weise zu äußern.

Es bleibt beispielsweise jedem Nutzer selbst überlassen, ob er eine möglichst naturgetreue Nachbildung seiner selbst als Avatar verwendet (oder Dritten eine solche Verwendung gestattet). Auch Unternehmen haben – in gewissen Grenzen – (Unternehmens-) Persönlichkeitsrechte, die es in der VR ebenso zu beachten gilt wie in der physischen Welt.

Das große „Aber“: Territorialitätsprinzip und Rechtsverfolgung:

Insgesamt gilt (sowohl für die obigen Themen als auch für sonstige Themen wie das Vertragsrecht, das Datenschutzrecht etc.): Die VR ist kein rechtsfreier Raum. Sie bringt im Ausgangspunkt auch keine bahnbrechenden Änderungen oder Neuerungen. Die VR verschiebt lediglich stellenweise die Perspektive bzw. macht es erforderlich, bestehende Rechte „neu“ zu denken.

Obwohl die Rechte also auch in der VR bestehen können und zu beachten sind, bringt es die Eigenart von gewerblichen Schutzrechten mit sich, dass mit Blick auf eine sehr wichtige Facette dieser Rechte Unsicherheit besteht; nämlich in Bezug auf die Rechtsverfolgung.

Für gewerbliche Schutzrechte gilt das sog. Territorialitätsprinzip. Sie entfalten nur auf dem Territorium Wirkung, für das sie eingetragen sind bzw. Geltung beanspruchen. Rechtsschutz gibt es nur in den Ländern, in denen das Recht geschützt ist und verletzt wird. 

Will der Rechteinhaber eine Verletzung des Rechtes gerichtlich verfolgen lassen, muss er gerichtlich darlegen, warum es einen Bezug zu der betreffenden Rechtsordnung (etwa der deutschen Rechtsordnung, über deren Einhaltung die deutschen Gerichte wachen) gibt. Der Rechtsschutzsuchende muss darlegen, dass die vermeintliche Rechtsverletzung eine inländische Benutzungshandlung darstellt.

Dies kann eine gewisse Kreativität erfordern, wenn sich Angebote ausschließlich auf rein digitale Waren/Dienstleistungen (eben in der VR selbst) beziehen. Der Fall ist nicht so einfach wie bei Inhalten auf Webseiten, die sich regelmäßig – ausweislich der verwendeten Sprache und der Lieferbedingungen – eindeutig an bestimmte Märkte richten. Auch werden VR wie das Metaverse in der Regel global zugreifbare Räume sein, die keine Ländergrenzen kennen.

Andererseits wäre es juristisch in höchstem Maße unbefriedigend, wenn Schutzrechte in der VR zwar Wirkung entfalten, diese aber im Verletzungsfalle nicht vor staatlichen Gerichten durchsetzbar wären. Daher spricht vieles dafür, dass man auch im Kontext von Rechtsverletzungen in der VR einen Bezug zum jeweils relevanten Rechtsraum (etwa Deutschland oder Europa) herstellen können muss, um vor (deutschen) Gerichten effektiv Rechtsschutz zu suchen und zu bekommen.

Ein Ansatz wäre, die Nutzung von Rechtspositionen in der VR als Nutzung dieser Rechtspositionen in allen Ländern anzusehen, von denen aus man auf die VR zugreifen kann. Denkbar ist auch, dass Betreiber von VR-Welten in Zukunft – nicht staatliche – Schlichtungs-/Schiedsstellen für rechtliche Auseinandersetzungen einrichten (wie etwa die ICANN eine Clearingstelle für Domain-Name-Streitigkeiten eingeführt hat).

Derzeit bleibt eine gewisse Rechtsunsicherheit. Rechteinhaber, die sich in VR-Welten engagieren wollen, müssen dieser bestmöglich begegnen, bis VR-Betreiber, Gesetzgeber oder Gerichte Klarheit geschaffen haben.

Teil einer möglichst umfassenden Schutzstrategie wird es sein, registrierte Schutzrechte territorial möglichst weitgehend anzumelden – also die Rechte auf möglichst viele Staaten zu erstrecken (auch wenn dies mit nicht unerheblichen Kosten einhergehen kann).

Rechteinhabern in der VR ist ebenso zu empfehlen, über verwendete Sprachen, virtuelle Hinweise sowie etwaig einzubeziehende Vertragsbedingungen Bezüge zu bestimmten Rechtsordnungen (etwa Deutschland) herzustellen.

Auf diese Weise schaffen Inhaber nationaler Schutzrechte bestmöglich die Basis dafür, ein nationales, etwa deutsches Gericht davon zu überzeugen, dass (auch) ein Bezug zum deutschen Schutzrecht und Deutschland als Schutzland besteht, damit das Gericht zur Entscheidung über die Rechtsverletzung berufen ist.

Lassen sich Gerichte nicht von ihrer Zuständigkeit überzeugen, besteht die Gefahr, dass die an sich bestehenden Schutzrechte nicht erfolgreich vor Gerichten durchgesetzt werden können – womit die VR faktisch doch ein rechtsfreier Raum würde.

thüsen

Jens

von der Thüsen

Rechtsanwalt

Grant Thornton in Deutschland

Jens von der Thüsen ist seit 2023 Rechtsanwalt und Partner bei Grant Thornton in Deutschland und Mitglied der Service Line Dispute Resolution. Als Prozessanwalt vertritt er seine Kunden in komplexen wirtschaftsrechtlichen Verfahren vor deutschen Gerichten sowie in internationalen Schiedsverfahren.
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