Kommentar

Zoos vs. Influencer – „Fehlendes Verständnis von modernem Marketing“

Influencer

Mit dem Äußern lautstarker Kritik an Zoos, Aquarien und Tierparks hat Meeresbiologe und YouTuber Robert Marc Lehmann eine regelrechte Welle der Entrüstung losgetreten. Nun scheint der Verband der zoologischen Gärten genug gesehen zu haben und zum Marketing-Gegenangriff zu blasen. Warum das die absolut falsche Strategie ist, erklärt Robert Klipp, Marketer und Geschäftsführer der Agentur MBC My Best Concept GmbH.

„Über Jahrhunderte hinweg hat sich das Konzept von Zoos als unschuldige Freizeitbeschäftigung für die ganze Familie in der Gesellschaft etabliert. Wildtiere, die eigentlich auf ganz anderen Kontinenten zu Hause sind, direkt vor der eigenen Haustür zu sehen, hat verständlicherweise einen erheblichen Reiz – besonders für Kinder. Für diese Art der Unterhaltung mussten sich Zoobetreiber über Ewigkeiten hinweg nicht einmal beim Marketing strecken. Was allein ein neugeborener Eisbär für einen medialen Hype auslösen kann, durften wir alle beim Berliner Zoo und Knut miterleben. Doch mit den Jahren – und einem sich entwickelnden Bewusstsein für Tierschutz – mehrten sich kritische Stimmungen in der Bevölkerung, was natürlich auch das Marketing erheblich verkompliziert hat. Wildgehege müssen sich unbequeme Fragen gefallen lassen und regelmäßig öffentlich rechtfertigen, besonders wenn einzelne Skandale von nicht artgerechter Haltung bis Tierquälerei ans Licht kamen. Diese deckt auch Robert Marc Lehmann auf seinem YouTube-Kanal auf. Der Meeresbiologe und ehemalige Mitarbeiter in mehreren zoologischen Anlagen macht als Influencer mobil gegen Wildtierhaltung, erreicht ein Millionenpublikum und stellt die Zoos damit vor eine nochmals ganz neue Herausforderung.

Anzeige

Macht durch Reichweite

Dass Persönlichkeiten Einfluss im Netz aufbauen und diesen dann auch nutzen, ist ein noch relativ junges Phänomen. Sogenannte Influencer machen eben genau das, was ihr Name suggeriert: Sie influencen, also beeinflussen, die öffentliche Meinung. Wie wichtig diese durch Reichweite generierte Macht ist, haben Unternehmen schon längst erkannt und nutzen die meist jungen Menschen regelmäßig als Werbeträger. Diese Maßnahme stellt mittlerweile einen normalen Posten in modernen Marketingstrategien dar. Doch dieser gewachsene Einflussbereich der Internetstars lässt sich auch für andere Dinge nutzen, als nur Produkte zu promoten – nämlich gesellschaftlichen Wandel anzustoßen. Lehmann erreicht mit seinen Videos, in denen er Zoos kritisiert, regelmäßig über eine Million Menschen und formt so das Meinungsbild eines – vor allem in Zukunft, weil sehr jungen – einflussreichen Teils der Bevölkerung. Und damit nicht genug: Mit seinem Engagement hat er noch weitere bekannte Namen der deutschen YouTuber-Szene, wie Rezo und Jonas Ems, für seine Sache begeistern können, die nun ebenfalls die Antiwerbetrommel rühren und damit die Reichweitenzahl nochmals erheblich steigern. So ist ein Imageproblem gewachsen, das die Betreiber der namhaftesten Zoos in Deutschland offensichtlich nicht mehr ignorieren können.    

Ins eigene Fleisch geschnitten

In seinem aktuellsten Video zeigt Robert Marc Lehmann nun nämlich einen Clip, der ihm offensichtlich von einer internen Quelle zugespielt wurde. Die Aufnahmen zeigen kurze Ausschnitte einer Tagung des Verbands der zoologischen Gärten (VdZ), in denen die Gefahr, die Influencer für das Image der Einrichtungen darstellen, auf der Agenda steht. Alle mitgefilmten Diskussionsbeiträge gehen in die gleiche Richtung: Gegenoffensive. Doch scheinen die Beteiligten der Konferenz nicht so ganz zu wissen, wie sie das anstellen sollen, denn über Phrasen wie ‚Wir müssen uns wirklich gut aufstellen‘ gehen die Wortbeiträge nicht hinaus. Zudem offenbart sich hier ganz grundlegend ein fehlendes Verständnis von modernem Marketing. Mit den Influencern und ihrer erheblichen Reichweite haben sich die Zoobetreiber im Kampf um die Meinungshoheit so ziemlich den härtesten Gegner ausgesucht, den es nur gibt. Ihnen – die mit der Macht ausgestattet sind, den öffentlichen Diskurs zu formen, wie kein Unternehmen es jemals kann – nun auch noch inhaltliches Futter für weiteren Online-Content zu liefern, ist absolut fatal. Die Zoos haben sich schlichtweg ins eigene Fleisch geschnitten, vor allem weil die YouTuber hier auch noch ganz eindeutig die moralische Überlegenheit besitzen. Wer das Video aufgenommen hat und wie es in die Hände von Lehmann gelangt ist, ist unklar, doch allein der Leichtsinn, die eigene Strategie in einem so großen Rahmen zu diskutieren, erweist sich als bemerkenswert ignorant gegenüber den Fallstricken neuer Medien.

Newsletter
Newsletter Box

Mit Klick auf den Button "Jetzt Anmelden" stimme ich der Datenschutzerklärung zu.

Kurskorrektur

Alles in allem stellt sich die Situation für Zoos zurzeit als ein absolutes Marketingdesaster mit enormem Imageverlust dar. Um dieses Schiff noch vor der Kollision mit dem Eisberg zu retten, braucht es eine erhebliche Kurskorrektur – und die findet sich nur noch auf dem thematischen Feld. Ein offener Wettstreit um öffentliche Glaubwürdigkeit mit einer Gruppe der populärsten Influencer lässt sich an diesem Punkt einfach nicht mehr gewinnen – vor allem da Lehmann neben seinen zahlreichen Followern auch noch den Background eines ehemaligen Insiders und Fachmanns besitzt. Was die Mitglieder des VdZ nun tun können? Zurückrudern und auf die berechtigte Kritik der YouTuber eingehen; sich ganz neu statt ‚stark aufstellen‘, wie es im Wortbeitrag des geleakten Videos heißt. Mit dem öffentlichen Bild einer Organisation, die ein offenes Ohr für die Belange ihrer potenziellen Besucher hat, lässt sich deutlich positiveres Marketing machen und das alte Image der familienfeindlichen Unterhaltungsparks zumindest zum Teil wiederherstellen. Robert Marc Lehmann gibt in seinen Videos sogar schon klare Visionen, wie die Wildgehege der Zukunft aussehen können. Mehr Transparenz, mehr Aufgeschlossenheit für Innovation und mehr Eingeständnis der Fehler in der Vergangenheit – nur so lässt sich das öffentliche Bild von Zoos noch retten. Mit der und nicht gegen die Wirkmacht der YouTuber und des modernen Marketings.“  

 Robert Klipp, Marketer und Geschäftsführer der Agentur MBC My Best Concept GmbH, www.mybestconcept.com

Anzeige

Artikel zu diesem Thema

Weitere Artikel

Newsletter
Newsletter Box

Mit Klick auf den Button "Jetzt Anmelden" stimme ich der Datenschutzerklärung zu.