Churn Management: Neue Intelligenz für neue Dimensionen

Heutige Konsumenten sind pragmatisch und flexibel: Die Loyalität gegenüber Unternehmen sinkt. In liberalisierten Märkten ist ein Anbieterwechsel schnell und unkompliziert vollzogen. Innovatives, ganzheitliches Churn Management unterstützt Entscheidungsträger dabei, ihre abwanderungsgefährdeten Kunden zu identifizieren und mit zielgenauen Angeboten vor allem die Meinungsführer nachhaltig von sich zu überzeugen.

Die Welt im 21. Jahrhundert wird von einer rasant zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung geprägt. Das betrifft Menschen und Organisationen ebenso wie Infrastruktur, Güter und Dienstleistungen: Alles wird in Nullen und Einsen erfassbar und damit auch intelligent steuerbar – vom Menschen selbst vielleicht abgesehen. Doch die dabei neu generierten Datenmassen, weltweit täglich über 15 Petabyte, zu managen bedeutet keine geringe Herausforderung. Gerade Unternehmen gelingt es, wenn überhaupt, meist nur unter hohem Zeit- und Personalaufwand, die geschäftsrelevanten, in der Regel höchst heterogenen Daten zusammenzutragen und auszuwerten. Im sich beschleunigenden globalen Wettbewerb sind verlässliche, konsistente und zeitnah verfügbare Informationen allerdings längst zu einem Key Asset avanciert. Sie bilden die Grundlage operativer ebenso wie strategischer Entscheidungen. Ein jederzeit aktuelles, detailgenaues und aussagekräftiges Gesamtbild der eigenen geschäftlichen Leistung sowie des Marktumfelds einschließlich der Kunden ist daher für zukünftigen Unternehmenserfolg unerlässlich.

Anzeige

Aus Daten Wissen machen

Wo stehen wir? Warum stehen wir hier? Wohin wollen wir? Welche Wege führen uns dorthin? Was will das scheue Wesen namens Kunde? Welche Risiken lauern im Wettbewerb, welche Chancen stehen ihnen gegenüber? Welche kurz-, mittel- und langfristigen Folgen ziehen unsere Weichenstellungen nach sich? Fragen, die jeden Entscheider umtreiben. Früher brauchte viel unternehmerisches Bauchgefühl oder eine verlässliche Glaskugel, wer valide Antworten darauf finden wollte. Heute greifen führende Unternehmen weltweit auf Business Analytics und Predictive Analytics von IBM zurück. Die End-to-End-Lösungen von Basis von Cognos- und SPSS-Technologie verdichten Daten aus verschiedenartigsten Quellsystemen zu wertvollem Entscheidungswissen.

Der Nutzer kann in Nahe-Echtzeit mittels Berichten, Plänen und Scorecards aussagekräftige Einblicke in die Unternehmensperformance und die Rahmenbedingungen gewinnen. Für maximale Flexibilität  sorgen dabei die variablen Darstellungsweisen der Analyseergebnisse und deren Integration in vorhandene Anwendungen. Damit gewinnen Führungskräfte nicht nur stets zeitnah ein solides Fundament für ihre Planungen. Auch Prognosen und Simulationen fußen so auf einer belastbaren Faktenbasis. Predictive Analytics führt Managern realitätsnah vor Augen, wie sich diese oder jene Entscheidung in verschiedenen Szenarien auswirken würde – eine wichtige Voraussetzung für Outperformance im schnelllebigen Wettbewerb.

275_1_vorschau.jpg 

Wachsende Wechselbereitschaft 

Ein weiterer Fokus der Predictive Analytics liegt auf dem Kunden. Dessen Loyalität gegenüber Marken und Unternehmen sinkt seit Jahren. Auch Telekommunikations-Provider und Grundversorger – unlängst noch ein Leben lang mit dem Konsumenten verbunden – bekommen das zu spüren. In weitgehend gesättigten Märkten erreicht man Wachstum fast nur noch durch Abwanderung (Churn) von Wettbewerbern. Mit aufwendigen Marketingmaßnahmen wird um jeden wechselbereiten Kunden gekämpft. Und immerhin schon 20 bis 30 Prozent der Telko-Kunden lassen sich jedes Jahr zu einem neuen Anbieter locken.

Der Trend zum Churn dürfte ungebrochen anhalten. Klar im Vorteil sind daher Unternehmen, die gezieltes Churn Management betreiben, also abwanderungsgefährdete Personen und Gruppen schon im Vorfeld identifizieren und mit passgenauen Angeboten ansprechen können. Die zugrunde liegende Kalkulation ist denkbar einfach: Einen Neukunden zu akquirieren kostet in der Regel deutlich mehr als einen Bestandskunden zu halten. Diese ökonomische Binsenweisheit schlägt sich seit jeher in vielfältigen Kundenbindungsaktionen nieder. Allerdings zumeist mit begrenzter Zielgenauigkeit. Denn ohne Predictive Analytics lassen sich allenfalls holzschnittartige Kundenprofile erstellen, die über das Churn-Risiko wenig Aufschluss geben.

Klassisches Churn Management und TABI: 2 + 2 = 5

Die konventionelle Churn-Vorhersage stützt sich im Wesentlichen auf demografische und Nutzungsdaten: Alter, Geschlecht, Umsatz, Produkte/Tarife oder Geo-Daten. Zusammen mit Informationen aus dem Kundenservice werden sie mit historischen Daten abgeglichen. Diese Auswertungen werden in der Regel für die mittel- bis langfristige Churn-Vorhersage verwendet und innerhalb mehrerer Tage erstellt. Die Qualität dieser Analysen lässt sich gewöhnlich mit einem Lift zwischen vier und sechs beziffern (der Lift gibt an, um wie viel genauer ein Prognosemodell – gegenüber einer zufälligen Auswahl – die wechselbereiten Kunden herausfiltern kann).

IBM-Forscher haben indes eine neuartige Lösung entwickelt, die auf einer Analyse des sozialen Netzwerkes basiert: Timely Analytics for Business Intelligence (TABI). Der Lift für TABI allein liegt bei über fünf. Die Kombination der klassischen Methode mit TABI jedoch ergibt mehr als ihre Summe: einen Lift von bis zu 16. Diese neue Dimension des Churn Managements wurde bereits in der Praxis von TABI erschlossen, so beispielsweise für ein südafrikanisches und ein koreanisches Telekommunikationsunternehmen.

275_2_vorschau.jpg 

Neuartiger Netzwerkanalyseansatz

TABI vereint moderne sozialpsychologische Erkenntnisse mit Hochtechnologie zur „Social Networks Analytics“. Die Lösung macht sich Gruppendynamiken zunutze: Auch ökonomische Entscheidungen werden oft nach Tendenzen im sozialen Netzwerk getroffen. Im Zentrum stehen die jeweiligen Gruppenleader. Diese „Agents of Change“ zeigen sich nicht nur abwanderungsbereiter als die anderen Gruppenmitglieder. Verlassen sie einen Provider, steigt die Wahrscheinlichkeit einer massiven Abwanderungswelle im betreffenden Netzwerk um den Faktor 6,7. Die Gruppenleader und ihre Netzwerke erkennen sowie ihre Präferenzen einschätzen zu können, verschafft Unternehmen daher einen signifikanten Vorsprung im Churn Management.

Beispiel Telekommunikation

Im ersten Schritt bemisst TABI, wie stark die sozialen Bindungen zwischen den Kunden sind, und erstellt eine Kontaktmatrix. Als Analysegrundlage dienen die Verbindungsdaten (Call Data Records – CDR) des Providers. Aus dem Wissen, wer wie oft mit wem kommuniziert, lassen sich Gruppen herausdestillieren. Im Schnitt umfassen diese sozialen Mikroeinheiten rund 15 Personen. Bei ihrer eingehenderen Analyse werden Muster der wechselseitigen Beeinflussung innerhalb der Gruppen sichtbar. Komplexe Algorithmen, Machine Learning und Graphen-theoretische Techniken ermöglichen die Identifizierung von Gruppen und Gruppenleadern. Mittels Vorhersage-Modellen auf Basis historischer Daten werden dann frühzeitig wechselwillige Personen und Gruppen identifiziert. Sobald eine Risikogruppe ausgemacht ist, errechnet TABI die individuelle Abwanderungswahr¬schein¬lichkeit jedes Gruppenmitglieds als Prozentsatz, und zwar innerhalb weniger Stunden.

Marktanteile ausbauen – Missbrauch eindämmen

TABI verschafft Churn Managern und Kampagnendesignern den entscheidenden Zeitvorsprung bei der Antizipation von Kundenentscheidungen. Die Ansprache wechselwilliger Meinungsführer wird nicht nur früher, sondern auch zielgruppengerechter möglich. Denn dank der Kombination mit demografischen Daten lassen sich jeder Gruppe auch bestimmte soziologische Charakteristika zuordnen. So wissen die Marketingexperten, mit wem sie es zu tun haben, etwa Business-Netzwerk oder Teenieclique.

Die Kundenansprache wird damit exakter – nicht zuletzt auch exakter messbar – und erfolgreicher. Und das nicht nur bei eigenen Kunden: Anhand der Verbindungsdaten lassen sich auch Meinungsführer und Gruppen identifizieren, die bei Wettbewerbern unter Vertrag stehen. Gelingt es sie vom eigenen Angebot zu überzeugen, werden ihnen auch weitere Gruppenmitglieder folgen. Hier bietet sich also zusätzliches Potenzial für einen Ausbau des eigenen Marktanteils.

Doch darin erschöpft sich der ROI noch nicht: Einen wertvollen Zusatznutzen bietet TABI mit der Nahe-Echtzeit-Meldung verdächtiger Nutzungsmuster. Die Lösung ermöglicht hier ein deutlich schnelleres Eingreifen bei Missbrauch und hilft so, die Verletzung verrechnungsrelevanter Geschäftsregeln zu verhindern (Revenue Assurance). Durch die ständige Analyse der Verbindungsdaten kann die Lösung auffällige Brüche in der Nutzung (Änderung des Ortes, der Kontaktmatrix und des Nutzungsvolumens) unmittelbar melden. Das beschleunigte Reaktionsvermögen spart dem Unternehmen bares Geld.

275_3_vorschau.jpg 

Bewegung auch in anderen Märkten

Seit die Märkte der Grundversorger liberalisiert wurden, erwachte auch in deren Kunden zwar langsam, aber umso nachhaltiger die Wechselbereitschaft. Es hat sich herumgesprochen, dass die Qualität des Stroms, Wassers oder Gases keineswegs nachlässt, wenn ein anderer Anbieter für die Lieferung zuständig ist. Und so wächst auch für die Versorger die Dringlichkeit eines wirksamen Churn Managements – für nicht wenige Player eine gänzlich neuartige Herausforderung. Informationsmanagement-Lösungen von müssen Anwender bei der Zusammenführung und Analyse der relevanten (Kunden-)Daten unterstützen. Neben unternehmensinternen Informationen zahlt sich hier vor allem die Auswertung unstrukturierter Daten aus, wie sie Social Media hervorbringen. Eine systematische Analyse des Diskurses über ein Unternehmen und dessen Produkte – sowie natürlich über die Wettbewerber – verschafft Entscheidern zentrale Impulse für ihre Churn-Präventions- und Akquise-Politik.

Auch die Finanzbranche zählt zu jenen Wirtschaftsbereichen, in denen die Kundentreue rapide schwindet. Angesichts des in der Finanzkrise begründeten generellen Vertrauensverlustes ist eine passgenaue Kundenansprache hier besonders wichtig. Doch dafür benötigt man detailliertes Wissen. Fach-Know-how und IT sorgen für einen 360-Grad-Blick auf den Kunden. So kann dieser bei erhöhtem Churn-Risiko rechtzeitig mit individuell auf ihn zugeschnittenen Angeboten von der Qualität seines bisherigen Anbieters überzeugt werden.

Bessere Performance

Die vorgestellten Churn-Management-Lösungen  illustrieren, wie die intelligente Analyse und Auswertung aller verfügbaren Informationen zu mehr Geschäftserfolg führen. Mit Predictive Analytics können Führungskräfte einen fundierten Blick in die Zukunft werfen und proaktiv auf die wahrscheinlichen Szenarien eingehen. Das verschafft ihnen nicht nur bei der Kundenbindung deutliche Vorteile gegenüber dem Wettbewerb. Auch Prozesse und Strukturen innerhalb der Organisation wie in der Kooperation mit Partnern, das Risikomanagement, die Lieferkette, das Marketing, die Finanzbuchhaltung, der Vertrieb – sämtliche Unternehmensbereiche lassen sich auf der Grundlage stimmiger und variabel verwertbarer Informationen optimieren. Damit erhalten Entscheider einen klaren Blick auf alles, was wichtig ist.

Jochen Stark

Diesen Artikel finden Sie auch in der Ausgabe Oktober 2010 des it management.

Anzeige

Weitere Artikel

Newsletter
Newsletter Box

Mit Klick auf den Button "Jetzt Anmelden" stimme ich der Datenschutzerklärung zu.