IT und Recruiting sind zwei Bereiche, die sich beißen | Doppelinterview

RecruitingFür Unternehmen wird es immer schwieriger, ihre offenen Arbeitsplätze mit den passenden IT-Profis zu besetzen. Ein Doppelinterview mit Christian Sekels, Leiter im Bereich Talent & Recruiting bei Telef6nica Deutschland und Johannes Liebnau, CEO der Personalvermittlung alphacoders, über IT-Recruiting in Zeiten des Fachkräftemangels.

Mit der laufenden Messesaison setzen viele Unternehmen deshalb auf das Anwerben von Kandidaten am eigenen Stand – doch ist die Messe das richtige Tool oder in Zeiten des Active Sourcings ein Auslaufmodell? Denn Bewerber stellen heute hohe Ansprüche, bevor sie sich für einen neuen Arbeitgeber entscheiden. Johannes Liebnau, CEO der Personalvermittlung alphacoders und Christian Sekels, Leitung der “Talent & Recruiting”-Abteilung bei Telefónica Deutschland, erläutern, welchen Herausforderungen sich Personaler/-innen heute und zukünftig stellen müssen.

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Christian Sekels und Johannes Liebnau

Welche Maßnahmen eignen sich am besten für das Rekrutieren von IT-Fachkräften?

Christian Sekels: Die Gewinnung von Fachkräften in der IT, wie auch im Bereich Big Data, ist für Telef6nica – wie wahrscheinlich für viele Unternehmen – die größte Herausforderung im Recruiting aktuell. Wir stellen uns daher breit auf und versuchen, die Kandidaten möglichst über viele Kanäle zu erreichen. So nutzen wir neben unserer eigenen Karriereseite die klassischen Stellenbörsen sowie auch IT-Portale wie .stackoverflow”. Daneben sind wir sowohl auf Fachmessen wie der CeBIT, wie auch bei speziellen IT-Karriereevents als Aussteller vertreten. Außerdem setzen wir zunehmend auf eigene, innovative Trainee-Programme, um mit einem speziellen Angebot bereits die jungen Talente für uns zu gewinnen und dann intern weiterzuentwickeln. Am wirkungsvollsten ist aber tatsächlich das Netzwerk unseres Recruiting-Teams und vor allem das unserer vielen Spezialisten in den Fachbereichen. Gute ITler/-innen kennen eben andere gute ITler/-innen von Konferenzen, Messen oder aus dem gemeinsamen Studium.

Johannes Liebnau: Das Wichtigste im Recruiting ist in der Tat der Aufbau und die Nutzung des eigenen Netzwerks. Dabei ist es egal, für welchen Fachbereich man Personal sucht. Eigene Kontakte, Kontakte von Kontakten und Weiterempfehlungen ermöglichen einen einfacheren Zugang zu möglichen Kandidaten/-innen. Besonders im Programmierer-Umfeld beginnt das Recruiting mit einem unverbindlichen Kennenlernen, da der persönliche Kontakt und vor allem auch der fachliche Austausch auf Augenhöhe sehr wichtig sind.

Wie Unterscheidet sich das Recruiting von IT-Positionen zur Besetzung von Vakanzen in anderen Unternehmensbereichen?

Christian Sekels: Der Markt für gute IT-Spezialisten ist in Deutschland, wie auch international, hart umkämpft. Wir sehen daher ein deutlich höheres Schwierigkeitslevel bei beispielsweise einem Backend-Developer als bei einem Controller oder HRler. In den .klassischen” Berufsbildern funktioniert der veraltete .post & pray” -Ansatz noch weitestgehend, während dies bei den sehr stark spezialisierten IT-Funktionen kaum Erfolg verspricht. Neben den genannten Kanälen zur Schaffung von Aufmerksamkeit für Telef6nica und unsere Stellen nutzen wir daher in der IT auch vermehrt Active Sourcing. Entweder intern über unser RecruitingTeam oder besonders in der IT auch zunehmend mit der Unterstützung von externen Partnern.

Johannes Liebnau: Leider ist besonders beim IT- und Developer-Recruiting in den letzten Jahren vieles falsch gelaufen. Mögliche Kandidaten/-innen wurden ganz willkürlich für irgendwelche Vakanzen angeschrieben. Wenn beispielsweise jemand Java als Fähigkeit im Profil angegeben hatte, gab es für diese Person auch Angebote für Java Script-Positionen – zwei Bereiche, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben! Dieses unkontrollierte Massenmailing führte dazu, dass IT und Recruiting inzwischen zwei Bereiche sind, die sich beißen und ITler/-innen nun kein gutes Gefühl mehr haben, wenn sie den Begriff Recruiting hören. Mit dieser Erkenntnis müssen Personaler/-innen nun kämpfen und versuchen sie mit inhaltlichem Verständnis und Know-how ganz bewusst zu entkräften.

Der Recruiter, der versucht einem • Techie” ein spannendes Projekt bei einem aufstrebenden Mittelständler in Norddeutschland anzubieten, wird sicher kein Interesse wecken können, weil dieses Angebot einfach viel zu unkonkret ist. ITler/-innen lassen sich von schwammigen Floskeln und Bullshit-Bingo nicht hinters Licht führen – sie erwarten einen kompetenten Ansprechpartner und eine präzise Aufgabendefinition.

Wie wichtig ist eine eigene Messepräsenz für das Rekrutieren von IT-Experten/-innen?

Christian Sekels: Ich denke, hier muss man stark zwischen Fachmessen und Karriereevents unterscheiden. Unsere Erfahrung zeigt, dass der Auftritt auf Fachmessen nur sehr eingeschränkt funktioniert und dann auch nur, wenn hinter dem Auftritt eine klare Strategie steckt, mit der man Aufmerksamkeit erregt. Bei Karrieremessen sieht dies deutlich anders aus. Die klare Ausrichtung des Events macht dies naturgemäß erfolgreicher. Wobei es auch hier massive Unterschiede in der Qualität gibt. Und man muss ehrlich festhalten: Die absoluten Top-Kandidaten haben es nicht nötig, eine Karrieremesse zu besuchen, weil sie täglich Angebote über die sozialen Netzwerke erhalten. Trotzdem macht ein Auftritt hier besonders aus Employer Branding Perspektive absolut Sinn.

Johannes Liebnau: Mit Auftakt der Messesaison setzen viele Unternehmen auf Messen als Recruiting-Tool. Ein eigener Messestand kann da auf jeden Fall die Arbeitgebermarke stärken und Aufmerksamkeit erzeugen. Dadurch kann sich der Weg zum Anwerben vom Fachkräften ebnen und besonders das Interesse von Berufseinsteigern/-innen und Young Professionals geweckt werden. Über diesen Weg IT-Fach- und Führungskräfte zu gewinnen, gestaltet sich jedoch als sehr schwierig. Für IT-Fachkräfte ist ein fachlicher Austausch über technische Probleme und deren Lösungen auf einer (inter-)nationalen Konferenz deutlich spannender als der Besuch einer Messe.

Dort stehen vor allem die Interaktion und die Behandlung von IT-Thematiken im Vordergrund. So eine Konferenz bietet auch Personaler/ -innen die Möglichkeit, ihren eigenen Wissenshorizont rund um das Thema IT zu erweitern, um ITlern/-innen bei Jobangeboten kompetent beraten zu können und mit geeigneten Kandidaten/-innen ins Gespräch zu kommen.

Welche Aspekte werden beim IT-Recruiting zukünftig an Relavanz gewinnen?

Christian Sekels: In Zeiten ständiger und totaler Verfügbarkeit von Daten und Informationen sowohl zu Unternehmen aufgrund von Bewertungsplattformen als auch zu Kandidaten über die Profile in den Netzwerken wird es umso wichtiger, die Kandidaten mit echten Inhalten und spannenden Tools und Projekten zu begeistern. Eine Hochglanz-Unternehmenspräsentation, die nicht die Realität abbildet, wird nicht funktionieren. Und besonders in der IT muss ich die Kandidaten über Inhalte begeistern – denn das ist ihr täglicher Arbeitsinhalt.

Da sind klassische Benefits wie die Betriebsrente oder eine Unfallversicherung deutlich weniger relevant. Auch hier bauen wir verstärkt auf unsere Mitarbeiter, dass sie ihre Erfahrungen bei Telef6nica in ihrem Netzwerk teilen und so unsere spannenden Themen und Projekte für unsere 49 Millionen Kunden in Deutschland teilen. Retention, also die langfristige Bindung von Mitarbeitern, ist hier natürlich mindestens ebenso wichtig. Es geht nicht nur darum, Top-Talente zu bekommen, sondern sie dann auch langfristig bei Telef6nica zu halten.

Johannes Liebnau: Seit Jahren ist das Thema Fachkräftemangel allgegenwärtig und so bleibt auch die IT-Branche davon nicht verschont. Deshalb müssen sich Unternehmen zukünftig viel stärker anpassen. Vor allem das Thema Remote-Arbeit wird in Zukunft immer relevanter werden. Zwar geht besonders in Konzernen der Trend zum Großraum-Office, aber die sind für Programmierer/-innen häufig weniger geeignet. Sie müssen über mehrere Stunden konzentriert arbeiten können – ohne von klingelnden Telefonen und Gruppenkonversationen abgelenkt zu werden. Remote-Arbeit gibt dem Mitarbeiter/der Mitarbeiterin die Möglichkeit, flexibel und konzentriert von zu Hause arbeiten zu können. Diese Option führt zwangsläufig auch zu der Einführung und Förderung von flexibleren Arbeitszeiten, die teilweise bereits von vielen Bewerbern vorausgesetzt werden. Unternehmen muss bewusst werden, dass bestimmte Benefits für Kandidaten/-innen längst zu Hygienefaktoren geworden sind, sodass frischer Kaffee und ein Obstkorb im Aufenthaltsraum niemanden mehr zu einem Jobwechsel bewegen.

www.alphacoders.de
 

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