Stammdatenmanagement: Nicht jedermanns Sache – Ist Ihr Unternehmen reif dafür?

Längst ist die Euphorie, die aufkam, als der erste Computer aus kilometerlangem Drahtgeflecht und einem Labyrinth von Elektronenröhren seine Daten ausspuckte („Rechenschieber ade!“), einemGefühl der Angst gewichen. Was war los, als im Nebengebäude der zweite UNIVAC in Betrieb genommen wurde? Wie würden sich all die Nullen und Einsen auf dem einen Rechner mit dem Datenstrom des zweiten in Einklang bringen lassen?
 
Die Schwierigkeit der Zusammenführung unterschiedlicher Sichten auf Kunden, Produkte, Anlagen, Lagerbestände und andere Datenkategorien besteht seit sechs Jahrzehnten. Nachdem die Kosten der Datenspeicherung im Lauf der Jahre gesunken und die Rechenleistung gestiegen ist, hat das Problem der nicht miteinander verbundenen Daten in vielen Unternehmen einen kritischen Zustand erreicht.
 
Kaum eine Woche vergeht, ohne dass eine Schreckensnachricht durch die Medien geistert, die auf einer Datenmanagementpanne beruht: Ein Gesundheitsunternehmen muss Strafe zahlen, weil es betrügerische Transaktionen verarbeitet hat. Eine Bank erlebt ein PR-Desaster, weil sie ein Haus zwangsversteigert hat, obwohl sie dazu nicht berechtigt war. Alles Probleme, die dadurch verursacht werden, dass Datenbestände nicht einheitlich organisiert sind.
 

Hype Master Data Management
 
In den vergangenen zehn Jahren bestand die Patentlösung für jedes Datenqualitätsproblem im Stammdatenmanagement (Master Data Management, MDM). Softwareanbieter haben MDM als Allheilmittel für alle datenbezogenen Krankheiten präsentiert. Leider hat der Hype eine kleine, unbequeme Wahrheit kaschiert. Eigentlich sollten Datawarehouses, ERP- und CRM-Systeme die „unterschiedlichen Versionen der Wahrheit“ bereits zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Die Idee des Stammdatenmanagements war es, das Ganze unter anwendungsübergreifenden Gesichtspunkten weiterzuentwickeln, aber der Grundgedanke blieb derselbe: Daten sollen eindeutig und unternehmensweit einheitlich dargestellt werden.
 
Inzwischen zeigt der Markt deutliche Ermüdungserscheinungen. Erst kürzlich quittierten Teilnehmer einer Fachmesse die Erwähnung des Prinzips Stammdatenmanagement mit einem gequälten Lächeln, und ein reichlich desillusionierter IT-Veteran fragte: „Wenn das alles so toll ist, wo sind dann die Erfolgsgeschichten? Wo lässt sich dieses Paradies denn besichtigen?“
 
Wie die Unternehmensberatung Gartner so treffsicher im Report „Hype Cycle for Master Data Management, 2010“ aufzeigt, ist ein Großteil der frühen Formen von Stammdatenmanagement (MDM von Kundendaten, MDM von Produktdaten) gerade im „Tal der Enttäuschungen“ angekommen. Doch wie geht man mit dem Thema um, wenn der MDM-Markt aktuell in eine Phase der Skepsis eintritt? – Indem man sich auf das konzentriert, was Stammdatenmanagement ist, nicht auf das, wofür es gehalten wird.
 

Die Skepsis überwinden
 

1.
Überlegen Sie sich, ob Sie wirklich ein MDM-Programm benötigen oder ob Sie nicht mit einer anderen Lösung genauso gut bedient sind. Falls Ihre Datenmanagementaufgaben überschaubar sind oder sich in Ihrem Unternehmen nur wenige Softwareanwendungen im Einsatz befinden, schießen Sie mit einer groß angelegten MDM-Initiative möglicherweise über das Ziel. Es gibt andere Wege, zu einer einheitlichen Sicht der Daten zu gelangen. Durch Anlage eines Referenzbestandes an Stammdaten zum Beispiel oder durch die Überführung systemfremder Daten in vorhandene ERP- oder CRM-Anwendungen lässt sich ein Großteil der Ziele einer MDM-Initiative ohne die dafür anfallenden Kosten erreichen.
 

2.
Machen Sie sich klar, dass es sich bei MDM um keine Technologie, sondern um eine Einstellung handelt. Die Erfahrung zeigt: Nicht die Technik ist der Knackpunkt, vielmehr sind es die zahllosen Meetings, begleitet von den typischen Schlammschlachten und Grabenkämpfen im Kielwasser einer Systemkonsolidierung. Scheinbar simple Fragen wie „Wie definieren wir, was ein Kunde ist?“ können ein Dutzend Interpretationsversuche nach sich ziehen, ja nachdem aus welcher Perspektive im Unternehmen sie beantwortet werden. Stellen Sie sich von Anfang an darauf ein, dass MDM ein Marathon ist, kein Sprint.
 

3.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf sollten Sie Ihr MDM-Programm derart strukturieren, dass es sich so schnell wie möglich bezahlt macht. Nur wenige Mitglieder der Unternehmensleitung haben die Zeit und Geduld, jahrelang auf Ergebnisse zu warten. Die gute Nachricht: Das müssen sie auch nicht. Entscheidend für den Fortschritt eines MDM-Projekts ist ein fundiertes Data-Governance-Programm. Im Zuge eines solchen Programms stellen Sie die Geschäftsregeln auf, mit denen Datenelemente unternehmensweit und einheitlich definiert werden – Regeln, die Ihnen helfen, Prozesse zu verfeinern und Risiken zeitnah abzuwenden.
 

4. Versuchen Sie nicht, das Rad neu zu erfinden.
Hilfreich im Sinn des zuletzt Gesagten ist es, dass Sie ein MDM-Programm mit Blick auf den eher kurzfristigen Nutzen starten. Nehmen wir als Beispiel ein Pharmaunternehmen, das lange nicht in der Lage war, die Ergebnisse seiner klinischen Tests projektübergreifend und unter Berücksichtigung aller beteiligten Ärzte und sonstigen Informationsgeber darzustellen. Drei Jahre hatte das Unternehmen darauf verwandt, auf Anwendungsebene die Geschäftsregeln zu implementieren, die im Rahmen seines Data-Governance-Programms benannt worden waren. Als schließlich die Einführung eines echten MDM-Systems anstand, stellte sich heraus, dass die grundlegende Infrastruktur bereits gelegt war und der Übergang glatter verlief als erwartet.
 
Helmut Plinke, www.dataflux.com  
 
Diesen Artikel lesen Sie auch in der it management  , Ausgabe 10-2011.

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