Design Thinking in der Softwareentwicklung

Von der Idee zum Prototyp

Was ist eine wirklich gute Idee? Sie verführt zu der Aussage: „Die hätte ich auch haben können“. Denn in diesem Fall ist sie eine Notwendigkeit, ein Produkt, das auf dem Markt fehlt. Ein gutes Beispiel dafür ist das von der Bank-IT automatisch durchgeführte Sparen von Restbeträgen. 

Jedes Mal, wenn ein Kunde etwas bezahlt, wird auf den nächsten vollen Betrag aufgerundet. Wer also etwas für 1,50 Euro kauft, dem werden zwei Euro abgebucht. Die überschüssigen 50 Cent kommen auf ein Sparkonto. Erfunden hat das Sparen beim Einkaufen die Bank of America am Anfang des Jahrtausends.

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Kreativprozesse als Methode

Ihre Kunden mussten nicht mehr ans Sparen denken und bekamen trotzdem eine gewisse Summe zusammen. Auf diese Idee ist im Finanzsektor vorher niemand gekommen. Warum? Es hat sich niemand so intensiv Gedanken gemacht wie die Designer der Agentur Ideo, die mit der Entwicklung neuer Bankprodukte beauftragt war. Sie haben dafür die Methoden des Design Thinking genutzt. Das Verfahren hat die Ideo selbst Anfang der Neunzigerjahre entwickelt und damit die Kreativprozesse von Designern in eine Methode überführt.

Dabei ist sie nicht auf Produkte und Services begrenzt. Ideo hat die Methode auch auf andere Bereiche übertragen, etwa die Organisationsentwicklung und Digitalisierung. Und natürlich ist es möglich, Design Thinking in der Softwareentwicklung einzusetzen, um innovative Lösungen für die Anforderungen und Wünsche der potentiellen Kunden zu gestalten. So hat beispielsweise Toyota eine einheitliche und übergreifende Software für den Callcenter-Support mit Design Thinking entwickelt. Am Ende stand dabei allerdings nicht nur die eigentliche IT-Lösung, sondern ein umfassendes Konzept aus Software, Schulung und überarbeiteten und verschlankten Prozessen. So kam in einem Workshop heraus, dass nicht allein die bisher vorhandenen unübersichtlichen Anwendungen Grund für überlange Wartezeiten der Kunden waren, sondern ebenso schlechte Prozesse und unzureichendes Training der Callcenter-Agents.

Produkte mit Design Thinking entwickeln

Die Kreativmethode verwirklicht einen Grundgedanken: Die Probleme, Bedürfnisse und Wünsche der potentiellen Nutzer einer Lösung stehen im Mittelpunkt. Aspekte wie Aufgaben, Funktionen oder Prozesse treten demgegenüber in den Hintergrund. So lautet eine sinnvolle Problembeschreibung nicht „Wie können wir unsere Lösung für das Dokumentenmanagement verbessern?“ sondern „Was hilft den Anwendern dabei, Ordnung und Überblick zu bewahren?“ Ein weiteres Beispiel: Die Frage „Wie ist der optimale Bestellprozess für unsere Kunden?“ ist auf einen begrenzten Lösungsraum ausgerichtet. Besser wäre die Frage: „Wie erleichtern wir den Kunden den Einkauf?“. Beim Design Thinking wird ein Grundproblem der Anwender in einem kreativen Prozess beantwortet, der sechs Schritte umfasst, die sich in zwei Abschnitte einteilen. Die ersten drei Schritte heißen Verstehen, Beobachten und Synthese. Sie widmen sich einem Problem und versuchen, den Kunden und seine Sicht möglichst genau zu verstehen. Die nächsten drei Schritte heißen Ideen, Prototypen und Testen. Sie sind der eigentliche Prozess, in dem eine innovative Idee entwickelt, in einen Prototyp verwandelt und dann getestet wird.

Das Bild zeigt es: Design Thinking gehört zu den agilen Methoden, bei der die einzelnen Schritte häufi g mehrfach durchlaufen werden. So ist es üblich, durch einen möglichst frühen Test beim Anwender herauszufinden, ob die Benutzeroberfl äche oder die Funktionen auch akzeptiert werden. Anderenfalls beginnt der Design-Prozess erneut.

Erfolgreich ist Design Thinking aber nur, wenn einige Rahmenbedingungen erfüllt sind. Es setzt auf ein möglichst heterogen zusammengesetztes Team. Es sollten also Mitarbeiter aus unterschiedlichen Fachbereichen und Wissensdomänen, aber auch Vertreter der späteren Anwender oder Kunden beteiligt sein. Sinnvoll ist es auch, die Mitglieder nach Geschlecht, Alter und kulturellem Background zu mischen. Außerdem sollte das Team externe Informationen hinzuziehen, aus der Marktforschung oder eigenen Befragungen von Kunden.

Als kreativer Prozess erfordert Design Thinking außerdem eine anregende Umgebung, die möglichst wenig alltäglich wirkt. Das Team sollte einen eigenen, vom Rest des Unternehmens getrennten Raum besitzen, den es nach seinen eigenen Bedürfnissen gestalten kann. Sinnvoll ist der Einsatz von Whiteboards und Hilfsmitteln wie farbigen Karten, Magneten, Stiften oder Bastelmaterial wie Holz, Knetmasse und Lego. Es geht schlicht darum, möglichst rasch einen Eindruck vondem neuen Produkt zu bekommen.

Softwarelösungen können diese Werkzeuge ergänzen. So ist es zum Beispiel hilfreich, Ideen für Abläufe in einem Flowchart zu modellieren. In einer frühen Phase kann es hilfreich sein, das Problem mit einer Mindmap zu zergliedern. In der Softwareentwicklung ist es sinnvoll, Prototyping-Tools einzusetzen, um eine interaktiv arbeitende Benutzeroberfläche präsentieren zu können.

Entscheidend für den Erfolg des kreativen Arbeitens ist, möglichst früh einen Prototypen zu erzeugen – auch wenn er bloß nach einer „Bastelei“ oder einem funktionslosen „Mockup“ aussieht.

Design Thinking Schritte

Der Prozess des Design Thinking: In sechs Schritten zum Produkt.

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Produkte schnell testen und die Erkenntnisse verarbeiten

Auch hier sind wieder die Anwender oder Kunden die entscheidende Instanz: Kommen sie mit dem Prototyp klar? Haben sie viele Rückfragen? Welche? Woran scheitern sie? Häufi g müssen die ersten Prototypen verworfen werden, doch genau darum geht es. Design Thinking verwirklicht das viel zitierte Silicon-Valley-Mantra „Fail Early, Fail Often“. Damit ist nicht gemeint, viel Geld mit Konzepten zu verbrennen, sondern sie möglichst schnell zu testen und anhand der Erkenntnisse zu überarbeiten.

Aus Sicht der Entwickler kann Design Thinking Innovationen strukturiert erzeugen. In der Softwareentwicklung schränkt häufi g eine stark an Prozessen und Funktionen orientierte Sicht die Weiterentwicklung von IT-Services ein. Bekannte Probleme sind „Featuritis“ und „Over-Engineering“: Die Lösungen enthalten alle nur denkbaren Funktionen, die dadurch erreichte Komplexität überfordert aber die Anwender. Oft werden die Funktionen trotz eines grundsätzlichen Bedarfs nicht eingesetzt und die Komplexität führt zur Ablehnung der Lösung. Dies wird vermieden, indem die Anwendern durch Design Thinking eine völlig neue Position in der Softwareentwicklung erhalten: Sie haben nun größere Mitspracherechte. Die Beteiligung der Nutzer sollte sich nicht darin erschöpfen, dass ein Anforderungsmanager ein 100-seitiges Pflichtenheft abgibt. Es beschränkt die Ideenfindung bereits im Vorhinein auf ausgetretene Pfade. Am Rande liegende Aspekte oder bisher von jedem übersehene Lösungen werden durch Design Thinking leichter entdeckt.

Doch Design Thinking hat auch eine Gefahr: Es kann zum Feigenblatt werden, wenn es lediglich in einzelnen Workshops in einer Art Ferienlageratmosphäre eingesetzt wird und danach alle Beteiligten wieder in ihren Alltag zurückgehen. Am erfolgreichsten sind kreative Prozesse, wenn sie im Unternehmen institutionalisiert werden. Denkbar sind dafür Prozesse und Rollen für kontinuierliche Innovation sowie der Einsatz einer Software für Ideen- und Innovationsmanagement wie Spigit. So bietet auch Ideo eine eigene, für Design Thinking optimierte Software für das Ideenmanagement an.

Solche Anwendungen unterstützen Innovationsprozesse in einem Unternehmen und helfen bei der Dokumentation. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, die Workshops und alle Ideen zu dokumentieren – auch verworfene. Möglicherweise ist ein erster, scheinbar nutzloser Einfall lediglich im falschen Kontext eingesetzt und kann in einem anderen Bereich erfolgreich werden. Darüber hinaus kann ein institutionalisiertes Innovationsmanagement mit Schnittstellen in die Entwicklung oder Produktion auch vermeiden, dass die Prototypen niemals zu echten Produkten oder Services ausgebaut werden. Denn letztlich geht es nicht darum, in lockerer Atmosphäre ein paar tolle Ideen zu haben, sondern neue Produkte, Services und Geschäftsmodelle auf den Markt zu bringen.

Elke GreinerElke Greiner, Digital Coach

 

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